Patterson James
meines hauchdünnen Vorsprungs von einem Schlag
schien dies noch keineswegs sicher oder auch nur in greifbare
Nähe gerückt.
Am Abend war dann Earls Nervosität komplett verschwunden, und während des ganzen Abendessens sagte er kaum ein
Wort. Ja, er war so ungewöhnlich schweigsam, dass ich ihn
schließlich fragen musste, ob er mich denn nicht für die morgige Runde irgendwie psychologisch aufbauen wolle. »Du
weißt schon«, sagte ich, »so eine kleine aufpeppende Ansprache, so was aus der Guru/Sportpsycho-Ecke.«
»So wie du puttest und schlägst, Birdie-Man«, erwiderte Earl
grinsend, »könntest du das hier im Schlaf gewinnen.«
»Ach, na dann brauche ich mir darüber ja keine Sorgen mehr
zu machen«, bemerkte ich. »Allerdings mache ich mir langsam
ein paar ernsthafte Sorgen um dich.«
»Ich weiß, was du meinst«, sagte Earl, »ich mache mir jeden
Tag Sorgen um mich. Das ist es, was mich so auf Zack hält.«
Obwohl Earl sich doch ein bisschen zu geheimnisvoll gab,
half mir sein zurückhaltender Ton, mich zu entspannen. Ich
sank problemlos in einen tiefen, festen Schlaf.
Bis ich um drei Uhr morgens von dem Geräusch sturzbachartig niedergehenden Regens geweckt wurde, gerade so, als ob
der Himmel sämtliche Schleusen aufgerissen hätte. Ich
kämpfte mich aus dem Bett hoch und wankte zum Fenster. Es
goss so heftig, dass ich nicht einmal die Terrasse sehen konnte.
Und als ich dreieinhalb Stunden später endgültig aufstand,
regnete es immer noch wie aus Kübeln.
Ich bin mir sicher, dass Ben Hogan in diesem Moment finstere Blicke gen Himmel gerichtet und in ganz unmissverständlichen Worten gefordert hätte, dass der verfluchte Regen
gefälligst aufhören solle, damit er in aller Ruhe sein Golfturnier
ohne irgendwelche Einmischung von oben gewinnen könnte.
Und ganz ohne Zweifel hätte Jack Nicklaus die Aussicht, sein
erstes Profiturnier auf irgendeine andere als vollkommen reguläre Weise zu gewinnen, als geradezu abstoßend empfunden.
Aber ich bin weder Ben Hogan noch Jack Nicklaus. Ich bin
Travis McKinley. Und wenn jemand von Ihnen an diesem
Morgen im Zimmer 1215 des Nashville Ramada zugegen gewesen wäre, dann hätte sich ihm ein höchst unwürdiger Anblick geboten, nämlich der eines erwachsenen Mannes, der in
ausgeleierter Unterwäsche auf dem Teppich des Hotelzimmers
auf die Knie fällt, dem lieben Gott mit einem halben Dutzend
inbrünstiger Gebete samt Halleluja und Amen zur Last fällt
und ihn demütigst darum bittet, dass der Regen nur immer
weiter niedergehen möge… »Ihr Wolken am Himmelszelt«, so
kam es mir, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, über die
Lippen, »ergießt nur weiter Euer endloses Nass über die verdorrte Erde.«
Fünf Minuten später wurden meine Gebete von Earl unterbrochen, der mich anrief, um mir seine Glückwünsche für
meinen ersten Sieg in einem Profiturnier auszusprechen. Weitere
zwei Stunden später erhielt ich den Anruf vom Turnierbüro.
Ob ich bitte so nett wäre, zum Golfkurs herüberzukommen
und meine Trophäe sowie meinen Scheck über 165 000 Dollar
abzuholen?
Muss man dieses Land nicht einfach lieben?
Ich fand, dass dies Grund genug war, um meine Nachkommenschaft in Winnetka aus dem Bett zu holen.
»Einhundertfünfundsechzigtausend Dollar«, wiederholte
Simon erschlagen. »Weißt du, was das heißt?«
»Was denn?«, fragte ich.
»Jetzt gehörst du zum Yuppie-Abschaum.«
»Warum stellst du dir nicht lieber vor, wie ich am Steuer eines riesigen, weinroten BMW sitze?«, war mein Gegenvorschlag.
»Mir wird gleich übel«, erwiderte Simon. »Aber herzlichen
Glückwunsch.«
Wo hatten meine Kinder nur diese verbitterten Sozi-Parolen
her, fragte ich mich, bis es mir dämmerte: Von mir selbst vermutlich.
»Du bist kein Abschaum, Dad«, meinte Noah, »du bist bloß
reich.«
»Your Daddy’s rich and your Mama’s good-looking«, trällerte ich
in einem plötzlichen Anfall mit Gershwin los. »Kann ich vielleicht auch noch mit besagter Mama sprechen?«
»Sie musste weg, war wieder ein Baby unterwegs«, erklärte
Noah. »Du kennst ja Mom.«
»Wohin war es denn unterwegs?«, fragte ich, von meinem
Erfolg derart beflügelt, dass ich mich sogar intellektuell dazu
imstande fühlte, mit einem Vierjährigen zu flachsen.
»Hör auf, Dad«, entgegnete Noah, der sowieso alles andere
als ein durchschnittlicher Vierjähriger ist.
»Du erzählst es ihr, mit einem Gruß von mir, okay?«, sagte
ich. »Ich rufe Elizabeth an.«
»Okay, Dad«, versicherte Noah. »Ich erzähl’s
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