Patty Janes Frisörsalon
gerade Paige Larkins Baby in den Armen hielt, als Harriet endlich kam. Sie versteckte sich hinter dem Säugling, der mit seinen dicken Beinchen strampelte, bis es ihr gelungen war, eine Miene aufzusetzen, die von Schock und Entsetzen nichts verriet.
»Evelyn, du treulose Tomate«, sagte Harriet lachend. »Ich dachte schon, du hättest mir wegen einer anderen musikalischen Wundermaid den Laufpaà gegeben.«
Evelyns angestrengtes Lächeln fiel plötzlich in sich zusammen, und sie brach in Tränen aus. Beschämt senkte sie den Kopf, als Harriet sie in die Arme nahm. Anstatt die Freundin zu trösten, muÃte diese nun sie trösten.
»Es tut mir so leid«, sagte sie schlieÃlich, während sie sich die Augen mit einem parfümierten Tuch tupfte, das genauso aussah wie das, das Harriet um den Kopf hatte. »Ich hatte solche Angst davor, dich zu sehen.«
»Das kann ich verstehen«, erwiderte Harriet. »Ich habe selbst Angst, wenn ich mich sehe.« Sie begann zu husten, trocken und keuchend, so heftig, daà ihr Körper sich krümmte. Evelyns erneuter Tränenstrom machte die stillschweigende Vereinbarung der Frauen im Salon, Optimismus zu bewahren, mit einem Schlag zunichte. Gerade als sie sich alle weinend die Augen wischten und die Nasen schneuzten, öffnete eine neue Kundin die Tür zur Flotten Locke. Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging wieder. Da muà jemand eine völlig verpfuschte Dauerwelle bekommen haben, dachte sie.
»Was meinst du?« fragte Harriet und warf sich in Pose. »Kleopatra?« Sie stülpte sich eine blonde Perücke über den Kopf. »Yvette Mimieux?«
Patty Jane nickte. »Gar nicht so übel. Aber die dunkle gefällt mir besser. Damit siehst du so knabenhaft aus â wie Audrey Hepburn oder Leslie Caron.«
»Knabenhaft gefällt mir«, sagte Harriet. Sie setzte wieder die Kurzhaarperücke auf und bauschte die Locken mit den Fingern auf. Als sie in den Spiegel blickte, sog sie ihre sowieso schon eingefallenen Wangen ein. »Okay, die nehme ich.«
Sie und Patty Jane suchten seit fast einer Stunde in Powers Hut- und Perückenabteilung nach einer Bedeckung für ihren haarlosen Kopf, die nicht allzu lächerlich aussah. In stillschweigender Ãbereinstimmung bemühten sich die Schwestern, das Beste aus dem Unternehmen zu machen, sprudelten vor Witz und Heiterkeit, während sie doch im Begriff waren zu kapitulieren.
Kapitulation war dem Arzt zufolge, von dem sie gerade gekommen waren, ein Schritt, der mittlerweile durchaus in Betracht zu ziehen war.
»Wir könnten natürlich mit einer neuen Behandlungseinheit beginnen«, hatte er gesagt und dabei Harriet nicht in die Augen geblickt, sondern über sie hinweg gesehen. »Aber ich glaube, das würde Sie nur kränker machen.« Patty Jane hatte Dr. Hurleys Aufrichtigkeit immer geschätzt, aber jetzt wünschte sie, er würde lügen; lügen wie gedruckt.
»Was soll ich also tun?« fragte Harriet, unablässig ihren Schal bindend und wieder lösend.
Der Arzt hob die Hände. »Ich würde meine Angelegenheiten in Ordnung bringen«, sagte er.
Die Kassiererin tippte den Preis der Perücke ein.
»Die sieht wirklich gut aus an Ihnen«, sagte sie, als sie Harriet den Kassenzettel reichte.
Harriet betastete die steifen Locken. »Auf jeden Fall wirdâs einem schön heià darunter.«
»Das ist bei allen Perücken so«, sagte die Kassiererin. »Daran werden Sie sich schon gewöhnen.«
Als die Türen des Aufzugs zum Restaurant sich schlossen, rief Harriet plötzlich laut und nachdrücklich: »Ãrzte können sich irren!«
Fünf fremde Frauen drehten die Köpfe nach Harriet um und wandten sich wie am Schnürchen gezogen wieder ab.
»Stimmt«, sagte Patty Jane. »WeiÃt du was«, fügte sie in leichtem Ton hinzu, »ich bin sicher, der hier weià nicht mal, wovon er überhaupt redet.«
Harriet lachte verzweifelt. »Er hat seine Zulassung als Arzt wahrscheinlich aus dem Versandhaus.«
Die fünf fremden Frauen starrten angestrengt auf die Etagenanzeige.
»Ich hab gehört, er wollte eigentlich Urologe werden«, sagte Patty Jane, »aber er konnte seinen du-weiÃt-schon-was nicht von seinem Ellbogen unterscheiden.«
»Guter Gott«, sagte eine der Frauen.
Harriet schüttelte mit ungläubigem Zungenschnalzen den Kopf.
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