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Patty Janes Frisörsalon

Patty Janes Frisörsalon

Titel: Patty Janes Frisörsalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Landvik
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dem Herd stand, und dem Wohlgeruch des Putenbratens, der im Rohr schmorte.
    Für Patty Jane war es ein Weihnachtsfest, wie sie es nur aus Büchern kannte. Elmo und Anna hatten diese Tage begangen, indem sie teure Schnäpse gekauft und Patty Jane und Harriet sich selbst überlassen hatten. Einmal hatte Anna am Weihnachtsmorgen mit einer Zigarette ein Couchpolster in Brand gesteckt, und Elmo hatte die Flammen mit einer Flasche Jack Daniels gelöscht.
    Â»Du Idiot!« hatte Anna geschrien. »Weißt du eigentlich, was das Zeug kostet?«
    Sie strahlt, dachte Ione, als sie beim Essen saßen. Sie konnte kaum den Blick von Patty Jane wenden. Als sie es widerwillig doch tat, hoffte sie, in Thors Gesicht ein ähnliches Strahlen zu finden. Aber dort sah sie nichts.
    Dieses leere Gesicht ihres Sohnes hatte sich zum erstenmal nach dem Tod seines Vaters gezeigt; die schön gebildeten Züge des Sechsjährigen erstarrten, als wären sie gefroren. Ione hatte geglaubt, er verarbeite den Verlust recht gut, bis sie eines Abends auf dem Weg ins Badezimmer hohes dünnes Wimmern aus Thors Zimmer hörte. Leise öffnete sie die Tür und sah ihren Sohn in sein Kopfkissen schluchzen. Als sie genauer hinhörte, bemerkte sie, daß das Wimmern ein ständiges Skandieren war: »Papa, Papa, Papa.« Mit hämmerndem Herzen ging sie zu ihm und setzte sich neben ihn aufs Bett. Er fuhr zusammen, als sie seinen Rücken berührte, und sah sie mit einem Ausdruck der Wut an, die für einen so jungen Menschen viel zu erwachsen schien. Eine Stunde lang saß sie schweigend bei ihm und rieb ihm den Rücken, bis der Schlaf die kleinen verkrampften Muskeln lockerte. Sie versuchte, am nächsten Tag mit ihm über Olafs Tod zu sprechen, stellte ihm behutsame Fragen, drängte ihn, sein Herz auszuschütten, aber der Junge sah sie nur an und sagte: »Papa ist tot, Mama. Er kommt nicht zurück.«
    Ione wußte, daß die unbewegte Miene, die er jetzt zur Schau trug, wie die glasglatte Oberfläche eines Gewässers war, unter der es von Haien und Ripptiden brodelte.
    Sie sah, daß ihr Sohn seine Hände mit dem Besteck beschäftigt und die Augen auf seinen Teller gerichtet hielt. Nicht einmal strich er Patty Jane mit dem Handrücken über die Wange, nicht einmal zwinkerte er ihr zu, wenn er glaubte, Ione sähe es nicht. Er unterhielt sich mit ihnen, jedoch ohne jede Lebendigkeit. Ione hätte ihn am liebsten bei den breiten Schultern gepackt und so fest geschüttelt, daß die starre Maske über seinem schönen Gesicht zerspringen würde.
    Als die beiden Frauen nach dem Essen das Geschirr spülten, zog Ione die Hand aus dem schäumenden Wasser und tätschelte Patty Janes Bauch.
    Â» Uff-da mayda , entschuldige«, sagte sie hastig und tauchte die Hände wieder ins Spülwasser.
    Â»Bitte«, sagte Patty Jane. Sie stellte sich vor ihre Schwiegermutter hin und drückte den Rücken durch, um ihren Bauch möglichst weit vorzuschieben.
    Ione trocknete sich die Hände an dem bestickten Geschirrtuch und legte sie auf Patty Janes Bauch, ließ sie dort ruhen, als wollte sie sie an einem Feuer wärmen.
    Â»Etwas Schöneres kann man gar nicht berühren«, sagte sie mit geschlossenen Augen.
    Patty Jane legte ihre Hände auf die von Ione und spürte die spitzen Knöchel Iones an ihrer Handfläche.
    Â»Thor mag meinen Bauch nicht anfassen«, flüsterte sie. »Er meint wahrscheinlich, er könnte dem Kind weh tun.«
    In der Stille, die ihren Worten folgte, fragte sich Patty Jane, ob Ione ihr glaubte. Sie selbst suchte verzweifelt nach einer Entschuldigung für Thors Kälte. Ione tätschelte ein letztes Mal Patty Janes runden Leib, dann begann sie energisch, den Bratentopf mit Stahlwolle zu säubern.
    Nach dem Abspülen entdeckten die beiden Frauen, daß Thor auf dem Sofa vor dem Feuer eingeschlafen war. Eine rosige Zehe spitzte aus einem Loch in einer der Socken.
    Â»Irgendwie komm ich nie an meinen Flickkorb«, sagte Patty Jane. Sie bekannte nicht, daß sie gar keinen besaß.
    Ione wollte Patty Jane gerade ein Glas Stachelbeerwein anbieten, aber als sie auf der kleinen Uhr über dem Kamin sah, wie spät es war, sagte sie impulsiv: »Patty Jane, die Weihnachtsgottesdienste sind in meiner Kirche immer so schön – hast du nicht Lust, mitzukommen?«
    Patty Jane zog die Wolldecke bis zu Thors Kinn hinauf.

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