Patty Janes Frisörsalon
Stadtrand von St. Paul verbracht. Das Zimmer hatte irgendein gütiger Mensch bezahlt, der sie in einer Hintergasse neben einem Müllcontainer aufgefunden hatte, wo sie sich auf den Knien liegend übergeben hatte. Harriet war sich bewuÃt, daà jemand oder etwas in Blau sie hochzog und mitnahm, aber sie lieà es gänzlich unbeteiligt mit sich geschehen, abgestumpft von ihrer Trunkenheit.
Sonnenlicht fiel durch die dünnen Gardinen mit dem geometrischen Muster, und Harriet versuchte, die Schmerzen mit reiner Willenskraft zu vertreiben und herauszufinden, wo sie war. Als ihr weder das eine noch das andere gelang, wälzte sie sich langsam aus dem Bett. Im Badezimmer wusch sie sich das Gesicht mit kaltem Wasser, wobei sie ihr Spiegelbild beharrlich ignorierte. Sie hatte gelernt, daà es besser war, nicht hinzusehen. Ein einziger klarer Gedanke durchdrang die dichten Nebel ihrer Kopfschmerzen, und sie erinnerte sich an die Gestalt in Blau. Ein Polizist? Ein Briefträger? Ein Polizist oder ein Briefträger hatte sie hierher gebracht?
Des Rätsels Lösung lag auf dem Schreibtisch neben dem darauf festgeschraubten Fernsehapparat: Ein rosa-weiÃgestreiftes Baumwollkleid, sauber gefaltet, ein Paar flache weiÃe Schuhe in ihrer GröÃe, eine Thermosflasche, eine Tageszeitung, eine Flasche Hustensaft und ein Zettel. Als sie ihn entfaltete, flatterte ein Zehndollarschein zu Boden. Auf dem Zettel stand.
Ich habe heute morgen mal nach Ihnen gesehen, wollte Sie aber nicht wecken. Ich hoffe, die Sachen passen und der Hustensaft hilft. Ãberlegen Sie sich, wofür Sie das Geld ausgeben. Für Essen, vielleicht fürs Kino! Nicht für Alkohol! Ich bin Polizeibeamter, und als ich Sie gefunden habe, ist mir das sehr nahe gegangen, weil ich selbst einmal ein Alkoholproblem hatte. Ich bin jetzt bei den Anonymen Alkoholikern und habe seit sechs Jahren nichts mehr getrunken. Kommen sie zu einem unserer Treffen in der St. Josephskirche in der St. Clair Avenue. Jeden Montag-, Mittwoch- oder Freitagabend. Ich bin immer da. Sie sind zu hübsch für ein Leben in der Gosse.
Ihr Freund,
Reese Brown.
Danke, Reese, dachte Harriet. Sie hob den Zehndollarschein auf und überlegte, ob sie sich lieber eine gute Flasche J&B kaufen sollte oder viele Flaschen Ripple. Vielleicht zwei Flaschen Wein und eine Stange Zigaretten. Eine richtige Zigarette, nicht eine Kippe von der StraÃe, wäre ein groÃer Luxus.
Sie setzte sich an den Schreibtisch und schenkte sich aus der Thermosflasche Kaffee ein.
»Na, ist das nicht idyllisch«, sagte sie laut, legte ihre FüÃe hoch und faltete die Zeitung auseinander. Ãber einem Foto von Richard Nixon bemerkte sie das Datum: 23. Juni 1968. Es wäre ihr vierzehnter Hochzeitstag gewesen.
Sie legte ihren Kopf auf ihre Arme. Und weinend rief sie die Namen der Menschen, die sie am meisten liebte und verloren hatte: »O Avel, o Patty Jane.«
18
EINE Frau mit einer ganzen Kollektion von Schals um den Hals schrieb Clyde Chuka für seine Skulptur Planetscarium einen Scheck über achthundert Dollar aus.
Es war Clyde Chukas erste groÃe Ausstellung, und nach den »verkauft«-Schildchen zu urteilen, die die Skulpturen schmückten, war sie ein triumphaler Erfolg.
»Es sagt mir etwas«, erklärte die Käuferin ihrem Ehemann.
»Ein Globus, in dem eine Axt steckt? Was sagt der wohl?« fragte er. »Aua?«
Patty Jane lächelte. Ione hatte sich ähnlich geäuÃert.
»Ich verstehe was von meinen eigenen Arbeiten â Sticken und Häkeln und rosemaling «, hatte sie Patty Jane zugeflüstert. »Ich verstehe auch noch Degasâ Balletteusen. Aber das da«, sie zuckte die Achseln, »das verstehe ich nicht.«
»Mir ist es genauso gegangen«, flüsterte Patty Jane zurück, da sie nicht wollte, daà jemand ihr Bekenntnis hörte. »Ich bin mir vorgekommen wie eine Idiotin, als Clyde Chuka und ich ins Museum gegangen sind und die Leute dauernd von »Energie« und »Angst« gesprochen haben. Aber dann hat Clyde mir erklärt, daà es in der Kunst keine richtigen Antworten gibt. Man sieht, was man sieht.«
Als Ione und Nora und ein Kontingent von Kundinnen der Flotten Locke gingen, mischte sich Patty Jane unter die Besucher der am Stadtrand gelegenen Galerie und belauschte die Gespräche.
»Das hier«, hörte sie von einem Mann, der ein Rüschenhemd trug und einen
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