Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Patty Janes Frisörsalon

Patty Janes Frisörsalon

Titel: Patty Janes Frisörsalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Landvik
Vom Netzwerk:
Einkäufe eintippte, schrieb er Harriet ein zweites Briefchen. »Wenn Sie Hilfe brauchen, rufen Sie mich an«, kritzelte er schnell und unterschrieb mit seinem Namen und seiner Telefonnummer. Er faltete den Zettel und steckte ihn ihr in die Tasche ihres Kleides.
    Sie dankte ihm mit einem kurzen, unsteten Lächeln. Als sie die Kassiererin dann bat, ihr noch zwei Packungen Zigaretten zu geben, war er schon weg. Die Jalousie schlug gegen die Tür, als diese hinter ihm zufiel.
    Reese Brown arbeitete seit zweiundzwanzig Jahren, genau sein halbes Leben lang, bei der Polizei von St. Paul. Er hatte sich seinen Kindertraum erfüllt, und er liebte besonders die einfachen Aufgaben, die sein Beruf mit sich brachte: eine alte, verwirrte Frau, die die Orientierung verloren hatte, nach Hause fahren; einer jungen Babysitterin, die angsterfüllt beim Revier angerufen hatte, im Schein seiner großen Taschenlampe zu zeigen, daß die Geräusche auf dem Dach nicht von einem Einbrecher verursacht wurden, sondern vom Ast einer Balsampappel, der im Wind aufs Dach schlug. Das waren seine Spezialitäten. Wenn er mit einer Welt zu tun hatte, deren Licht von Dunkelheit bedrängt wurde, mit Menschen, die einander verletzen wollten, versuchte er zu helfen.
    Er war ein Hüne von einem Mann – einen Meter fünfundneunzig, breit und kräftig –, und er war ein sanfter, freundlicher Mann, bis auf einen Funken von Gewalt, der wie kochende Lava in ihm brannte. Ungerechtigkeit war der Ursprung dieser Gewalt; als Kind hatte er zusehen müssen, wie sein Vater seine Mutter geschlagen hatte. Er war aus dem Basketballteam der Universität ausgeschlossen worden, als er einem Stürmer, einem eingebildeten Kerl, der ihm frech gekommen war, ein paar Zähne ausgeschlagen hatte.
    Erst seine rundwangige Frau hatte ihm geholfen, diese Wut zu kanalisieren und mit ihr umgehen zu können. »Red mit mir, Reese, bitte red mit mir«, hatte sie an einem bitteren Silvesterabend zu ihm gesagt, nachdem er bei einem Überfall den Räuber erschossen hatte, der auf ihn und seinen Partner gefeuert hatte.
    Er hatte es getan, und gerade deshalb hatte ihn die Kürze des Briefs, den sie ihm und ihren beiden Kindern hinterlassen hatte, um so tiefer getroffen: »Ich liebe einen anderen.«
    Er begann zu trinken, abends, wenn die Kinder im Bett waren; als dann die Scheidungsunterlagen aus Las Vegas eintrafen, fing er an, auch morgens zu trinken. Fast drei Jahre lang schaffte er es, das Trinken auf die frühen Morgen- oder späten Abendstunden zu beschränken; einmal jedoch verdrückte er sich im Dienst in eine Tankstellentoilette und trank Wodka aus einer Thermosflasche. Sein Partner fand ihn dort, wie er vor dem Spiegel stand und I’m Sorry sang.
    Reese stand ganz ruhig da, als der Funke der Wut, den er längst totgeglaubt hatte, in ihm aufflammte, und er Officer Keith Eggert mit der Faust ins Gesicht schlug. Die beiden dachten sich eine Geschichte aus, um Eggerts Verletzung zu erklären (sie wären in Frogtown mit einem Schläger aneinandergeraten, der mit Steinen geworfen hatte), und der Captain glaubte ihnen. Eggert verlangte nur eines von Reese: daß er Hilfe suchen würde. Er gab Reese die Adresse einer Kirche, wo Leute mit Alkoholproblemen sich regelmäßig trafen.
    Reese sprach von Eggert immer als dem »Mann, dem ich das Jochbein brechen mußte, um mein Leben zu retten«.
    In der Mittagszeit, als die Straßen im Geschäftsviertel von St. Paul dicht bevölkert waren, ging Harriet bettelnd von einem Passanten zum anderen. »Haben Sie ein bißchen Kleingeld?« fragte sie trotzig und hielt zitternd ihre schmutzige Hand auf. Die Ampel an der Ecke schaltete auf Grün, und Harriet torkelte den Bürgersteig entlang. Ein Schulbus ratterte vorüber, und drinnen saß, durch das Fenster deutlich sichtbar, ihre Nichte. Der Anblick von Noras hellblondem Haar und klar geschnittenem skandinavischen Profil ernüchterte Harriet auf der Stelle. Und genau in diesem Moment drehte Nora den Kopf, um zum Fenster hinauszublicken, und sah sie. Als hätten sich Sturmwolken vor die Sonne geschoben, wich das Strahlen in Noras Gesicht ungläubigem Entsetzen.
    Einmal hatte eine Klassenkameradin von Nora, die in Patty Janes Flotte Locke gekommen war, um sich für den Winterball die Haare machen zu lassen, gefragt, wer die Frau sei, die auf der Harfe die Lieder von den Beatles

Weitere Kostenlose Bücher