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Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse

Titel: Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinssen
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gern und oft nach Feierabend besucht. In dieser Nacht aber war etwas anders als sonst. Ich sollte um diese späte Stunde allein sein – aber da war noch jemand. Ich spüre noch, wie mein Herz schlug. Paul – ich hatte Angst. Aber irgendetwas trieb mich dazu nachzusehen.
    Ich ging schnell die Treppe hoch. Als ich die Plane beiseite schob, war ich verblüfft. Mein Schreinermeister stand mir gegenüber. Sein Gesicht war vor Schreck verzerrt. Er wirkte verstört. Seine angespannte Körperhaltung sagte mir, dass ich ihn bei irgendetwas überrascht hatte. Er trat einige Schritte zurück, aber er konnte nicht verbergen, dass er etwas hinter seinem Rücken versteckte.
    Im gleichen Moment sah ich das Loch im Boden. Er war wohl gerade dabei, die Bohlen auszubessern, als er auf das gestoßen war, was er jetzt vor mir zu verheimlichen versuchte. Ich sah die Metallkiste auf dem Boden stehen. Sie war aus Blei gefertigt, und an ihrem Zustand erkannte ich sofort, dass sie sehr alt sein musste. Daneben lag aufgerissenes, schon sehr brüchiges Wachspapier.«
    Lenas Gesichtszüge wurden starr. Sie hustete und musste einen Schluck trinken, um weitersprechen zu können. »Dann sah ich ihn. Densdorf hatte sich in einer dunklen Nische versteckt. Die Situation überrumpelte mich völlig. Densdorf grinste zynisch, was es für mich noch schwerer machte, die Situation einzuschätzen.
    Ich stellte die beiden zur Rede. Der Schreiner trippelte von einem Fuß auf den anderen, während Densdorf ganz ruhig blieb. Schließlich hielt mir der Schreiner ein zusammengerolltes Leinentuch entgegen. Dann erkannte ich, dass es kein Tuch war, sondern eine Art Pergamentpapier. Grobes Papier, wie es vor Jahrhunderten in Gebrauch war. Mein Atem setzte aus, als er es entrollte. Ich sah eine überwältigend filigrane Federzeichnung – eine nackte Frau in aufreizender Pose. Ich sah den typischen Stil des Zeichners – und die Initialen A.D.«
    »Also doch«, entfuhr es Paul.
    Lena lächelte schwach. »Für Sekunden war ich sprachlos. Ich wehrte mich zunächst selbst dagegen, die richtigen Schlüsse zu ziehen, zu unwahrscheinlich kam mir alles vor. Denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, ein bislang unbekanntes Original vor mir zu haben. Es war schlichtweg unglaublich – fantastisch! Schließlich hatte ich mich wieder einigermaßen gefangen und versuchte, die Lage einzuschätzen: Meinem Schreinermeister stand die pure Gier in den Augen. Er konnte sich denken, was dieses Bild wert ist. Ich war völlig fertig, aber ich riss mich zusammen. Ich hob besänftigend die Hände und ging auf ihn zu.«
    Lenas Blick war wie entrückt. Sie schien die ganze Situation noch einmal zu durchleben. »Das Bild muss sofort in Sicherheit gebracht werden, sagte ich zu ihm. Es war jahrhundertelang konserviert. Ihm drohten in der kühlen, feuchten Abendluft irreparable Schäden. Wir müssten uns mit dem Kurator des Germanischen Nationalmuseums in Verbindung setzen. Zufällig hätte ich sogar seine Handynummer dabei, sagte ich ihm. Aber mein Gegenüber nahm mich gar nicht wahr. Zumindest nicht als die, die ich war. Der Schreiner starrte mich leer an und umklammerte das Bild mit zitternden Händen. Mir wurde die Situation immer unheimlicher. Ich kämpfte gegen meine Furcht und trat näher an ihn heran. Er entzog sich mir mit einem weiteren Schritt zurück. Ich sagte ihm, dass er das Bild auf keinen Fall behalten könne. Ich sprach von der Bedeutung dieses historischen Fundes. Von der Ehre, die ihm allein gebühren würde. Doch ich verstand meine eigenen Worte kaum noch, solche Angst hatte ich vor dem unsicheren Ausgang dieser Situation.«
    Lena schwieg. Sie brauchte lange, um sich wieder zu fassen.
    »Es gibt Situationen, die kann man eigentlich nicht beschreiben. – Ich hatte kaum mitbekommen, wie Densdorf sich einmischte. Er hatte die ganze Zeit wortlos im Hintergrund gestanden. Ich hatte ihn fast vergessen. Jetzt war er plötzlich zwischen mir und dem Schreiner. Man mag meinen, dass ein Handwerker kräftig ist und sich wehren kann – aber Densdorf hatte den Überraschungseffekt auf seiner Seite. Er handelte vollkommen entschieden und ohne zu zögern. Es ging alles ganz schnell – oder wahrscheinlich auch nicht. Ich weiß es nicht mehr.«
    »Er hat ihn getötet«, sagte Paul.
    Lena nickte, und Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ja, obwohl der Schreiner schon nach dem ersten Schlag das Bild fallen gelassen hatte. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren war: Densdorf

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