Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
Rede ist von …«
»Die Rede ist von Mord, beziehungsweise von bis zu dreifachem Mord. Ja, genau darum geht es«, bestätigte Paul beschwörend.
Der Polizist erschrak. »Was wollen Sie von mir?«
»Wie schon gesagt: dass Sie mir helfen«, sagte Paul ruhig. »Ich kann mich momentan noch nicht an die richtige Polizei wenden.«
»Aber ich bin die richtige Polizei!«, protestierte sein Gegenüber entrüstet.
»Entschuldigung, ich wollte andeuten, dass es noch zu früh ist, um die Kriminalpolizei einzuschalten.«
Dieses Argument schien dem Kontaktbeamten einzuleuchten. Er spannte die Schultern und sagte: »Ich verstehe. Manche Dinge sollte man doch besser uns Uniformierten überlassen; da haben Sie absolut Recht.«
Als Paul spätabends die Tür zu seiner Wohnung aufschließen wollte, stolperte er fast über Hannah. Sie schlief auf den Stufen, einen Energy-Drink in die rechte Hand gepresst.
Paul verkniff sich ein Fluchen. Weißt du, was deine Mama dazu sagen würde, dass du um diese Uhrzeit hier rumhängst?, hätte er am liebsten geschimpft. Stattdessen rüttelte er Hannah mehr oder weniger sanft am Arm.
Mit Hannah im Schlepptau ging Paul in die Küche. Er wählte eine Packung asiatische Nudeln, die er durch zwei frische Karotten und eine Zwiebel vom Gemüsestand anreicherte und mit einem Löffel Frischkäse verfeinerte.
»Yum Yum à la Paul mit der Extraportion Käse«, sagte er und kredenzte Hannah mit umständlichen Bewegungen sein Blitzmenü.
Sie stocherte unmotiviert in den Instantnudeln. »Sie haben mit meiner Mutter gesprochen, ja?«
Paul nickte. Er schüttete sich eine Extraportion Parmesanverschnitt über seine Nudeln.
»Ich hoffe, Sie haben sich nicht in sie verliebt.«
Paul sah erstaunt von seinem Teller auf. »Wieso sollte ich?«
»Das tun die meisten. Auf meine Mutter sind schon viele hereingefallen«, sagte sie.
Paul ließ die Gabel, auf der er eben eine Portion Nudeln gedreht hatte, sinken. »Was heißt hier ›reingefallen‹?«
Hannah verdrehte vielsagend die Augen. »Sie wirkt so brav, aber sie hat es faustdick hinter den Ohren.«
Paul legte sein Besteck beiseite. »Ich finde es unfair, dass du so über deine Mutter redest.« Er musterte Hannah ausgiebig und sah die vielen Fragezeichen in ihrem Blick. »Deine Mutter hat nichts gesagt, das uns im Wege steht. Aber für deine Wunschfotos war ich sowieso von Anfang an der falsche Mann.«
Hannah machte einen unschlüssigen Eindruck, der zwischen Enttäuschung, Wut und Verständnis zu wechseln schien. Sie kostete von den Nudeln. Aber sie war wohl nicht wirklich hungrig.
»Ich habe nachgedacht«, sagte sie, nachdem sie Paul aufmerksam angeschaut hatte. »Darf ich diese Skizze noch einmal sehen?«
Paul wusste sofort, wovon sie sprach. Die Skizze, die das Gesicht verschwieg und doch alles wiedergab, was ein Gesicht ausmacht.
»Die Augen eines Huskys«, sagte Hannah.
Paul suchte nach einem Foto, das er ihr dann zeigte.
Es wunderte ihn nicht, dass Hannah nickte. »Ja, dieselben Augen«, sagte Hannah selbstsicher, »von der Frau, die ich mit Densdorf bei einem meiner Auftritte als Christkind gesehen habe. Ja. Die beiden haben sogar Händchen gehalten.«
Paul sah wieder den zu Stein erstarrten heiligen Sebald vor sich – an einem Feuer aus Eiszapfen kauernd.
34
Pauls Weg führte ihn in den Blumenladen unterhalb der Sebalduskirche. Ein romantisch verspieltes Kleinod, das derjenige aufsucht, der Liebe schenken will. Er zögerte vor dem Eintreten. Das uralte Haus mit seinen schiefen, aus grob gehauenen Steinquadern zusammengesetzten Wänden war mit Blumengebinden in weihnachtlicher Farbenpracht geschmückt. Samtenes Rot, sattes Grün, darüber lag das Funkeln feinster Stanniolsternchen. Das Schaufenster war beschlagen, und unter der hölzernen Ladentür quoll feuchtwarme Gewächshausluft hervor.
Die Türglocke bimmelte altmodisch. Paul trat auf kahlen Steinfliesen in einen prächtig überfüllten Raum. Subtropisch. Pflanzen wie aus einem Reiseprospekt für die Antillen. Sofort war ein junger Mann zur Stelle. Klein, höflich und wie aus dem Ei gepellt. Mit großer Geste fragte er Paul nach dessen Wünschen.
Paul wusste nicht recht. Er bewunderte still den akkurat geschorenen, modernen Spitzbart des lackschwarzhaarigen Floristen. »Ich brauche etwas für jemanden, den ich sehr schätze, aber kränken muss«, sagte er und wunderte sich selbst über seine Offenheit.
Der Verkäufer hob kaum merklich die Brauen und ließ sofort die
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