Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
gute Zeichnung. Dürer muss sich über diese dreiste Fälschung maßlos geärgert haben. Ich denke, er hat dem Schwindler eine Stange Geld dafür geboten, dass er das Bild abgibt und keine weiteren Pseudo-Dürer anfertigt. Dann jedoch konnte er sich nicht überwinden, die Mätresse zu zerstören, und ließ sie stattdessen im Gebälk seines Hauses verschwinden.«
»Klingt nach einer guten Story«, meinte Blohfeld, »aber nicht unbedingt nach der Wahrheit.«
»Ich habe eine zweite, noch plausiblere Idee: Die dargestellte Dame war wirklich eine von Dürers Geliebten. Ein Neider, der Dürer den Erfolg als Künstler und Frauenschwarm missgönnte, porträtierte sie annähernd in dem für Dürer typischen Stil, um den Meister damit zu erpressen. Dürer sah sich genötigt, auf den Erpresser einzugehen, und bewahrte das Bild an unzugänglicher Stelle auf«, erklärte Paul. »So oder so ähnlich könnte es sich abgespielt haben.«
Dann – und das konnte Paul durch das Telefon geradezu sehen – schmunzelte Blohfeld. »Mmm. Dieser Fall hat beinahe tragikomische Momente: dass ausgerechnet ein anzüglicher weiblicher Akt im Mittelpunkt der ganzen Sache steht. Und ausgerechnet Sie ihn gelöst haben – als stadtbekannter Fotografen-Schmutzfink …«
»Fall?«, fragte Paul barsch. »Ich betrachte das Ganze eher als eine Aneinanderreihung von unglücklichen Schicksalswendungen. Ich hoffe, der Richter würdigt Lenas Zwangslage.«
»Ich fürchte, Katinka Blohm wird weit weniger emotional an die Sache herangehen, als Sie es tun. Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie bereits freudig die Messer wetzt.«
Schweigen. Paul hörte ein feines Zischen und Knistern und folgerte daraus, dass Blohfeld sich eine seiner geliebten Zigarren ansteckte. In Paul kam ein Anflug von Neid auf: Neid auf Blohfelds vermeintlich sorgloseres Leben, auf sein erhabenes Über-den-Dingen-Stehen.
Paul lud Hannah auf ein Abendessen bei Jan-Patrick ein. Er tat dies vordergründig als Wiedergutmachung für seine Weigerung, die ersehnten Nacktfotos von ihr zu schießen. In Wahrheit wollte er versuchen, durch sie eventuell etwas über Katinkas Prozessvorbereitungen zu erfahren. Denn mit der Staatsanwältin selbst wollte er nicht über Lena sprechen. Doch vielleicht brauchte er diesen Abend an der Seite eines attraktiven jungen Mädchens auch schlicht und einfach für sein eigenes Ego.
»Es ist mir eine besondere Ehre, einen Tag vor dem Heiligen Abend mit dem Christkind höchstpersönlich essen gehen zu dürfen«, begrüßte Paul Hannah und führte sie zu einem reservierten Erkertischchen. Hannah, tatsächlich noch mit Resten der Christkind-Schminke auf Augenlidern und Wangen, ließ sich nicht lange bitten.
Jan-Patrick kredenzte nach dem Aperitif ein deftiges Abenddiner speziell für Ausgehungerte.
»Vorneweg bringe ich euch Gans und Gansleber im Rieslingsgelee«, kündigte Pauls Freund salbungsvoll an.
Sie saßen einträchtig in der romantischen Erkerecke, als der Koch anschließend Kürbisgnocchi mit Schafspilzen auftischte. Zu einem Wein mit dem Bukett eines ganzen Erdbeerfeldes servierte Jan-Patrick danach Saibling auf Fenchel-Birnen-Gemüse, bevor er seine Gäste mit Rehrücken, Schokoladenblaukraut und Walnusskartoffelpüree verwöhnte.
Beim Holunder-Zwetschgen-Ragout mit Apfeleis sprach Hannah erstmals das Thema Lena an. Jan-Patrick wechselte gerade die bis auf den Stumpf herabgebrannten Tafelkerzen auf dem Tisch aus.
»Sie hat sich getäuscht«, sagte Paul nur. »Schwer getäuscht. Und nicht nur, was die Echtheit von Dürers Mätresse angeht. Sie hätte sich früher jemandem anvertrauen sollen und nicht versuchen sollen, alles alleine zu lösen.«
»Die Mätresse?«, fragte sie, inzwischen reichlich beschwipst. »Sie sind nicht verheiratet, Flemming. Wollen Sie sich nicht auch bald wieder eine Mätresse suchen?«
Wollte das Christkind ihn etwa anbaggern?, fragte sich Paul amüsiert und geschmeichelt zugleich und antwortete gespielt ernst: »Du bist zu jung, so einfach ist die Sache.«
Hannah setzte das breiteste Christkindlächeln auf, das je ein Christkind gelächelt hat. »Was Sie nicht sagen.« Sie tupfte sich den Mund mit der Serviette ab. »Danke für die Einladung.«
Von draußen drang das Geräusch einer Autohupe durchs Lokal.
»Mein Freund wartet auf mich.« Sie drückte Paul ein flüchtiges Küsschen auf die Wange. »Ich muss jetzt gehen.«
Jan-Patrick brachte die Rechnung dezent gefaltet auf einer Porzellanuntertasse.
Dieses
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