Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
war etwa so viel wie drei Sportplätze, also ausreichend Platz, um sich darin zu verstecken.
Paul hatte den breiten, hell erleuchteten Hauptflur erreicht, den zentralen Korridor der 1940 angelegten unterirdischen Polizeizentrale. Er wusste, dass von diesem Flur dutzende Türen zu Dienstzimmern und Versorgungsschächten abgingen. Sein erster Gedanke war, sich hinter einer dieser Türen zu verbarrikadieren und zu hoffen, dass Schönberger daran vorbeilief.
Doch Paul befürchtete, dass Schönberger diese Finte durchschauen würde. Also disponierte er blitzschnell um: Er hörte bereits die Schritte seines Verfolgers im Treppenhaus, als er eine Tür zu einem engen, etwa einen Meter siebzig hohen Gang wählte.
Paul zog den Kopf ein und eilte durch die schmale Flucht, deren Wände mit weiß getünchtem Spritzbeton stabilisiert worden waren. Nach einer weiteren, abwärts führenden Treppe hatte er sein Ziel erreicht: Er stand jetzt inmitten der oberen Felsenkeller. Paul bückte sich, stemmte seine Fäuste auf die Oberschenkel und rang nach Luft. Kaum erholt, sah er sich Zuflucht suchend um: Die rot schimmernden Sandsteindecken wurden von trutzigen quadratischen Pfeilern gehalten. Sie mochten ihm möglicherweise kurzzeitig Schutz gewähren, doch wirklich sicher würde dieses Versteck nicht sein.
Paul beeilte sich, in dem durch einige Glühbirnen spärlich beleuchteten Labyrinth voranzukommen. Auf dem Boden vor ihm sah er einige wasserführende Rillen und folgte ihnen bis zu einem abgemauerten, mannshohen Hohlraum, in dem sich die Rinnsale in einem Absetzbecken sammelten. Die Höhle hatte einen schmalen Zugang. Es gelang ihm, sich unter einigen Verrenkungen hineinzuzwängen. Mit gespreizten Beinen blieb er über dem Wasserbecken stehen.
Er lauschte in die trügerische Stille. Tatsächlich war außer einem permanenten Tropfen und Plätschern nichts zu hören. Neue Hoffnung schöpfend nahm Paul sein Telefon zur Hand, um die Notrufnummer zu wählen.
Doch er hätte es sich denken können – knapp fünfzehn Meter unter der Erde gab es keinen Empfang.
Paul sah nach unten auf das glitzernde Wasserbecken zu seinen Füßen. Er würde sein Versteck wieder verlassen müssen, wenn er Katinka helfen wollte. Er musste an Schönberger vorbei einen Weg nach draußen finden, um den Notarzt und die Polizei zu verständigen.
Doch wie – um Himmels willen – sollte er das anstellen?
Plötzlich hörte er Schritte. Paul presste sich dicht an die raue Sandsteinwand. Was sollte er tun? Je näher Schönberger kam, desto schlechter standen Pauls Chancen.
Die Schritte wurden lauter. Paul verfluchte sich dafür, zu viel Hefeweizen getrunken zu haben. Dann hielt er den Atem an: Der Gedanke an Bier brachte ihn auf eine mögliche Lösung seines Problems.
Vorsichtig wagte er sich aus seinem Versteck. Schönberger stand nur wenige Meter entfernt und wandte ihm den Rücken zu.
Noch einmal wog Paul all seine Möglichkeiten ab. Ihm blieb keine Wahl. Mit einem beherzten Sprung ließ er das schützende Wasserbecken hinter sich und stürzte den Gang entlang, unmittelbar an Schönbergers Rücken vorbei.
Dieser reagierte sofort, drehte sich um und brachte seine Pistole in Anschlag. Doch Paul war schneller und stürmte in einen kaum beleuchteten Verbindungstunnel.
Feuchte Luft schlug ihm entgegen. Er hatte vielleicht zwanzig Meter hinter sich gebracht, als er wieder die näher kommenden Schritte seines Verfolgers hörte.
Jetzt bloß nicht stolpern!, schärfte er sich ein. Die verbleibende Distanz bis zum nächsten Felsenkeller und damit bis zu seinem Ziel schätzte er auf knappe hundert Meter.
In diesem Moment fiel erneut ein Schuss. Die Kugel peitschte dicht an seinem linken Ohr vorbei und sprengte Steinsplitter aus der Tunnelwand. Einer der Splitter traf Paul ins Auge.
»Verflucht!« Er kniff die Augen zusammen, strauchelte und musste sich an der Wand abstützen. Ihm schwirrte der Kopf. Seine Beine waren plötzlich bleiern schwer, seine Zunge fühlte sich taub an. Er hörte Schönberger immer näher kommen. Paul zwang sich weiterzugehen. Mühsam setzte er einen Fuß vor den anderen. Erst langsam, dann immer schneller.
Er musste sich extrem konzentrieren, denn das Licht, das die spärlich verteilten Glühbirnen in den Kellern am Ende des Korridors ausstrahlten, war sehr schwach. Die Sekunden schienen sich zu Minuten auszudehnen. Jeden Augenblick könnte der nächste Schuss auf ihn abgefeuert werden.
Endlich endete der bedrückend enge Gang und
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