Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
Sekunden weder einen Sinn in Schönbergers Handeln erkennen noch sich einen einigermaßen geeigneten Fluchtplan ausdenken.
Sobald sie die Wohnung betreten hatten, zog Schönberger die Tür hinter sich ins Schloss. Die Mündung seiner Pistole zielte unbeirrt auf Paul.
»Warum tun Sie das?«, fragte Katinka.
Schönbergers breites, von Falten durchzogenes Gesicht hatte jeglichen sympathischen Zug verloren. Seine Augen wirkten fahl und kalt, und seine Mundwinkel hingen schlaff nach unten. »Ich bringe nur etwas zu Ende«, sagte er mechanisch.
»Hören Sie«, sagte Paul und hob beschwörend seine Hände. »Wir wissen, dass Herr Wiesinger nicht immer ein einfacher Chef war …«
Schönberger rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Nichts wissen Sie. Rein gar nichts.« Er fuchtelte mit der Pistole herum. »Herr Wiesinger saß im Fond des Wagens hinter mir. Jeden Tag, Jahr für Jahr. Er hat telefoniert. Seine Anweisungen gegeben. Immer ganz offen. Die Limousine war für ihn ein geschützter Raum. Niemals drang etwas nach außen.«
Paul registrierte feine Schweißperlen auf Schönbergers Stirn, als dieser weitersprach. »Ich habe alles mitbekommen. Seine Geldschiebereien. Seinen Einfluss auf den Stadtrat. Seine Frauengeschichten. Und zum Schluss seine Versuche, den Fleischbetrug seines Sohnes zu vertuschen.«
»Habe ich es mir doch gedacht, dass der Junior die Sache angezettelt hat«, sagte Paul in der Absicht, Verständnis für Schönbergers Tat zu heucheln.
»Ganz recht«, bestätigte Schönberger. »Mit Andi Wiesingers zweifelhaften Geschäftspraktiken hat das Übel seinen Lauf genommen.«
»Das muss Sie alles sehr belastet haben«, sagte Katinka und klammerte sich fest an Pauls Arm.
»Seien Sie still!«, forderte Schönberger energisch. »Sie verstehen gar nichts!«
Daher weht also der Wind, begann sich Paul zusammenzureimen. Der Chauffeur fühlte sich als unterdrückter Angestellter, dem der eigentliche Lohn für seine Dienste als verschwiegene Vertrauensperson versagt geblieben war. Aber was hatte er von einem patriarchisch geführten, traditionellen Familienunternehmen wie dem der Wiesingers anderes erwartet?
»Ich war bis zum Schluss ein loyaler Vertrauter von Herrn Wiesinger«, sagte Schönberger, und nun klang sein Tonfall rechtfertigend. »Ich wäre mit dieser Familie durch dick und dünn gegangen.«
Was kam dazwischen?, wollte Paul wissen, schwieg aber wohlweislich.
Schönberger schwenkte seine Pistole kurz in Katinkas Richtung, um gleich darauf wieder auf Paul zu zielen. »Ich wollte nicht als namenloser Fahrer in den Ruhestand treten. Alles, was ich von Herrn Wiesinger verlangt habe, war die Art von Wertschätzung, die ich mir in all den Jahren redlich verdient habe. Im Gegenzug hätte ich der Familie einiges belastendes Material überlassen, das mir in die Hände gefallen ist.«
Paul ahnte allmählich, was den letzten Ausschlag für Schönbergers Tat gegeben hatte. Vorsichtig fragte er: »Dieses belastende Material, von dem Sie sprechen – wo haben Sie das her?«
Ohne Umschweife kam Schönberger auf das Sommerhaus an der Rednitz zu sprechen. »Hans-Paul Wiesinger hatte mich vor kurzem persönlich darum gebeten, in den ausgedienten Behausungen ab und zu nach dem Rechten zu sehen. Das hätte er besser nicht tun sollen.«
Schönberger war im Sommerhaus auf die Unterlagen von Imhof gestoßen, die dieser dort in der irrigen Annahme gehortet hatte, es handele sich um ein sicheres Versteck.
»Die Unterlagen haben mir zunächst einen großen Schrecken eingejagt. Ich sah die Firma, ja, die ganze Wiesinger-Dynastie in Gefahr«, sagte Schönberger pathetisch. »Ich wollte die Papiere zurückgeben.«
»Aber?«, fragte Paul.
»Nach längerem Nachdenken gelangte ich zu der Überzeugung, dass ich eine Belohnung für meinen Fund verdient hätte.«
Er hat den alten Wiesinger also doch erpresst, folgerte Paul.
»Eine würdevolle Verabschiedung, einen kleinen Aufschlag auf die Rente. Das war alles, was ich verlangt habe.« Schönberger klang traurig.
»Das ist sehr bescheiden von Ihnen«, versuchte sich Paul einzuschmeicheln.
»Das will ich meinen«, sagte der Weißhaarige. »Aber Hans-Paul Wiesinger wollte von meinen Vorschlägen nichts hören. Er hat mich verhöhnt. Und als ich an dem Abend den Lärm hörte und zu ihm ging …«
»Sie meinen nach seinem Streit mit seiner Tochter Antoinette?«, schaltete sich Katinka vorsichtig ein.
Schönberger nickte. »Ja, ja. Eine Glasscheibe ist zerbrochen. Das
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