Paul Flemming 02 - Sieben Zentimeter
wir meilenweit entfernt.«
Paul schaltete die Kamera aus und legte sie beiseite. Er schaute Katinka an. So entspannt, wie sie nun auf seinem Sofa lag, die Augen geschlossen, im Sonnenlicht neue Energie tankend, hatte er sie nie zuvor beobachten können. Ihr Verhältnis war – nach vielen Jahren ohne jeden Kontakt – freundschaftlich, aber reserviert. Vielleicht hatte der heutige Tag eine Wende eingeleitet. Ihm wäre das mehr als recht, denn er mochte Katinka sehr. Er war sich selbst nur noch nicht endgültig im Klaren darüber, wie weit dieses Mögen ging.
»Okay«, sagte er dann. »Raubmord. Alles spricht dem ersten Augenschein nach dafür. Aber du wärest nicht die Katinka Blohm, die ich kenne, wenn du nicht trotzdem schon weitere Nachforschungen in Wiesingers Umfeld angestellt hättest.«
Katinka fuhr sich durch das von der Aufregung verschwitzte Haar. »Hans-Paul Wiesinger war ja nicht nur millionenschwerer Würstchenproduzent, sondern ein großes Tier in der Politik. Regionalpolitik. Er war eine der treibenden Kräfte in der Heimatpflege.«
»Ich weiß, im Frankenbund.«
»Nein«, korrigierte ihn Katinka. »Der Fränkische Heimatbund ist das Konkurrenzunternehmen des Frankenbunds.«
»Sind die nicht alle gleich? Sie fordern Franken als eigenständiges Bundesland und diesen ganzen veralteten Unsinn«, meinte Paul.
»Die Heimatfreunde haben durchaus ehrbare Ziele. Zieh das nicht ins Lächerliche.«
»Du hast also bereits Kontakt aufgenommen?«, wollte Paul wissen.
Katinka deutete ein Nicken an. »Ich glaube zwar nicht wirklich an einen Zusammenhang mit Wiesingers gewaltsamem Tod, denn diese Heimatbund-Angelegenheiten reichen nicht im Entferntesten an die Machtkämpfe der großen Politik heran. Aber zugegeben«, sie versuchte ein Lachen, »sie nehmen sich sehr ernst.«
»Ernst genug, um einen Lkw auf dich loszulassen?«
Katinka schüttelte energisch den Kopf. »Ich weiß, dass diese Leute mehrere Vorstöße begangen haben, per Volksentscheid Frankens Unabhängigkeit und Souveränität zu erlangen. Aber führende Köpfe, wie Wiesinger einer war, haben sich inzwischen davon losgesagt.«
»Eben«, beharrte Paul, »vielleicht war genau das Wiesingers Todesurteil.«
»Mach dich nicht lächerlich«, sagte Katinka. »Wir Franken mögen stolz auf unsere Herkunft sein, meinetwegen auch stur und in gewisser Weise querköpfig. Aber eines sind wir ganz gewiss nicht: radikal.«
Jetzt musste Paul lachen, doch er hielt sofort inne, als er bemerkte, wie Katinka erschrocken ihre Hand vor ihren Mund presste. »Was ist los?«, fragte er besorgt.
»Mir ist etwas eingefallen«, sagte sie leise. Katinka holte tief Luft. »Wahrscheinlich ist es nur ein Zufall: Ein Kollege von mir war vor knapp zwei Jahren ebenfalls wegen einer Strafsache mit dem Heimatbund in Kontakt getreten.« Sie schluckte. »Er hatte kurz darauf einen Unfall – einen mit tödlichem Ausgang.«
Paul sah sie besorgt an. »Was war das für ein Unfall?«
»Er ist auf regennasser Fahrbahn ins Schleudern geraten und gegen einen Baum geprallt. Mir ist das sehr genau in Erinnerung geblieben, denn ich war auf seiner Beerdigung. Niemals werde ich die Gesichter seiner Frau und seiner beiden kleinen Kinder vor dem offenen Grab vergessen.«
Paul runzelte die Stirn. »Kati – ich kann mir denken, wie du dich momentan fühlst, und – zugegeben – ich habe dich ja selbst zu solchen Gedanken inspiriert. Aber hier eine Parallele zu konstruieren, erscheint mir doch abwegig«, versuchte er sie zu beruhigen. »Wie du schon sagtest: Es ist sicher nur eine zufällige Ähnlichkeit.«
Er bot ihr eine zweite Tasse Kaffee an, die sie dankend ablehnte.
»Etwas Kühles wäre mir lieber«, sagte sie und fächelte sich mit der Hand Luft zu. »Hannahs neue allerbeste Freundin hatte letztens ein sehr erfrischendes Rezept parat: Citron pressé – frisch gepresster Zitronensaft, etwas Zucker, Wasser und vor allem viele Eiswürfel.«
Paul machte sich auf die Suche nach einer Zitrone in seinem mager bestückten Kühlschrank.
»Kann ich dir etwas anvertrauen, ohne dass du gleich deinen Kumpel Blohfeld einbeziehst?«, fragte Katinka.
Er nickte unverbindlich, denn diese Bemerkung kränkte ihn.
»Es gibt – trotz aller vordergründigen Klarheit – tatsächlich ein paar große Fragezeichen im Fall Wiesinger«, setzte Katinka an.
Paul verließ augenblicklich die Schmollecke und spitzte die Ohren.
Katinka schaute nachdenklich, bevor sie sagte: »Uns gehen die Spuren
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