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Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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war in Dunkelheit getaucht.
    Niemand bemerkte etwas. Kein Zeuge konnte später Hausers Schilderungen bestätigen: Zwei dunkel gekleidete Männer in langen wallenden Mänteln, mit schwarzen Zylindern und schwarzen Augenmasken drangen in Hausers Zimmer ein. Sie überwältigten ihr Opfer. Hauser wehrte sich. Er schrie. Doch den Angreifern gelang es, ihm mit einer scharfkantigen Waffe erhebliche Verletzungen zuzufügen. Nur weil Hauser so laut um Hilfe rief, brachen die Angreifer ihr Vorhaben, ihn zu ermorden, ab und flüchteten in die Nacht.
    Daumer kümmerte sich um den Verletzten und ließ seine Wunden versorgen. Hauser wurde sofort befragt, doch seine Beschreibungen der Angreifer waren zu dürftig: Die Attentäter blieben für immer Phantome. Immerhin fertigte er eine exakte Zeichnung der Tatwaffe an. Eine eigentümliche Kreuzung aus Messer und Beil mit einem klobig gerundeten Griff und einem scharfkantigen Sporn am oberen Rand der Klinge. Paul hatte die Zeichnung der Waffe noch deutlich vor Augen, in seinen Büchern hatte es Abbildungen davon gegeben.
    Die Nachricht von dem missglückten Mord breitete sich seinerzeit wie ein Lauffeuer aus. In Nürnberg, in Franken und schließlich im ganzen Land. Welche Kreise hatten ein solch gesteigertes Interesse an Hausers Tod, um so einen Überfall zu wagen? Wenigstens blieb das Attentat nicht ohne Folgen: Paul erinnerte sich, dass Bayernkönig Ludwig I. zeitweise eine polizeiliche Schutzwache für Hauser aufstellen ließ und sogar eine Belohnung für Hinweise auf die Täter aussetzte.
    Ein sachter Windstoß fuhr durch das Gebüsch und zerrte leicht an den Ästen. Aus seinen Gedanken gerissen, schaute Paul auf die Uhr: fast eins. Eigentlich Zeit, um nach Hause zu gehen!
    Der Einfachheit halber wählte er den Rückweg durch die Straße Am Sand. Erst als er im Vorbeigehen das Straßenschild las, wurde ihm bewusst, dass Henlein hier gewohnt hatte: Am Sand 6, Paul hatte sich die Adresse gemerkt.
    Die Insel Schütt war noch in Sichtweite, als Paul das Mehrfamilienhaus mit der entsprechenden Hausnummer fand. Es war ein typischer Bau aus den späten sechziger Jahren. Ein schlichtes, schnörkelloses Gebäude mit bunten Glasbausteinen in den Treppenhausfenstern und markisenbewehrten Baikonen, die in Richtung Pegnitz zeigten. Ein Durchschnittsbau, einer, der in jeder beliebigen Stadt stehen könnte.
    Immerhin hatte sich der Architekt trotz der unverkennbaren Sparzwänge eine individuelle Note gegönnt. Paul bemerkte sie erst, als er an dem Gebäude schon fast vorbeigegangen war: Die Giebelseite, die von einer Straßenlaterne beleuchtet wurde, war mit einer großen ockerfarbenen Wandmalerei verziert. Auch sie war im Stil der Sechziger gehalten. Dargestellt wurde der Brauch des Fischerstechens: Zwei Männer standen einander mit ihren Booten auf der Pegnitz gegenüber und versuchten, sich mit Hilfe langer Holzlanzen gegenseitig ins Wasser zu stoßen.
    Es war also ein Mietshaus, das trotz aller spartanischen Zweckmäßigkeit die Nürnberger Traditionen nicht aussparte, dachte Paul. Ob Henlein deshalb hier eingezogen war? Oder aber hatte die Nähe zum einstigen Quartier seines Seelenverwandten Kaspar Hauser den Ausschlag gegeben?
    Paul betrachtete die szenische Darstellung des Fischerstechens noch einmal genau und fühlte sich an ein anderes Bild erinnert, das in seinem Kopf herumspukte: die symbolische Blume auf Henleins Medaillon. Die bewaffneten Fischer vor Augen, überlegte Paul, ob nicht auch die Blume Bezug auf ein Ereignis oder eine Tradition längst vergangener Zeiten nahm. Womöglich war sie doch mehr als bloß ein belangloses Kindheitsgeschenk gewesen, an dem Henlein allein aus sentimentalen Gründen gehangen hatte. Vielleicht sagte sie ja etwas über Henleins Leben oder sogar über seine Herkunftsregion aus.
    Die Idee begleitete Paul auf dem Nachhauseweg. Er nahm sich vor, das Medaillon – oder wenigstens das Foto davon – bei Gelegenheit noch einmal eingehend zu untersuchen.

11
    Paul gönnte sich eine Auszeit. Vor dem kleinen italienischen Cafe an der Plobenhofstraße standen noch Stühle, und so genoss er seinen Espresso im Freien. Neben ihm – sorgsam an die Wand gelehnt – stand sein neues Fahrrad. Heute Morgen erst hatte er es ersteigert. Katinka hatte Recht behalten: Es war ungeheuer günstig gewesen und tipptopp in Ordnung. Allerdings musste sich Paul erst noch an sein Äußeres gewöhnen: violett und noch dazu mit knallgelben Blümchen verziert. Er würde es

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