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Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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üble Mischung. Die Wohnung der Henleins lag Parterre am anderen Ende des Gangs.
    In der Wohnungstür empfing ihn eine Frau, deren Eindruck er erst einmal auf sich wirken lassen musste: Frau Henlein schien etliche Jahre jünger zu sein als ihr verstorbener Mann. Sie war klein, hatte dauergewelltes, helles Haar, und ihr pummeliger Körper steckte in einem weiten Morgenmantel. Sie trug rosafarbene Plüschschlappen.
    Paul bemerkte ihren Blick, der auf die Aktentasche unter seinem Arm fiel, dennoch fragte Frau Henlein erst einmal: »Wollen Sie zu mir?« Sie klang gleichzeitig schüchtern und entschieden.
    Mit gesenkter Stimme drückte Paul seine Anteilnahme aus. Er deutete auf die Aktentasche und bat, eintreten zu dürfen.
    Etwas Unstetes war in Frau Henleins Blick. Paul konnte immer nur für Momente in ihre Augen schauen. Sie bewegten sich schnell und ziellos, waren überall und nirgendwo. Die Witwe wirkte einerseits aufgelöst und nervös, andererseits aber durchaus gefasst. Womöglich wollte sie einem Fremden gegenüber ihre Trauer nicht allzu offen zeigen, mutmaßte Paul.
    Er wurde eingelassen, dann ging Frau Henlein mit schnellen Schritten voran.
    Die Henleins lebten in bescheidenen Verhältnissen. Für Paul erschloss sich der Aufbau der Wohnung innerhalb der ersten Sekunden. Zwei Zimmer, Küche, Bad. Mehr war ihnen nicht vergönnt gewesen, aber mehr hatten sie vielleicht auch gar nicht gewollt, dachte er.
    Obwohl die Wohnung sehr sauber und aufgeräumt war, machte sie auf Paul einen einengenden Eindruck. Sehr bald wusste er auch warum: Der Flur und auch das Wohnzimmer waren mit Bücherregalen und Schränken vollgestellt. Überall gab es Aktenordner, und auf jedem prangte – mit dickem Filzstift geschrieben – immer der gleiche Name: Kaspar Hauser!
    Paul folgte der Witwe zu einer Sitzecke im überheizten Wohnzimmer. Beigefarbenes Lederimitat. Das Polster ächzte, als Paul sich niederließ. »Die ganze Geschichte tut mir ausgesprochen leid«, fing Paul an.
    Frau Henlein knetete unruhig ihre Hände. Obwohl sie ihm gegenübersaß, hatte Paul den Eindruck, als wäre sie gedanklich schon wieder weit weg. Ihre Pupillen flackerten nervös.
    »Ich war dabei, als es passierte«, sagte Paul und sah sie einfühlsam an. Er streckte die Hand mit der Aktentasche aus. »Ihr Mann hatte diese Mappe bei sich, als er starb.«
    Plötzlich kamen die Augen der Frau zur Ruhe: Wie auf Kommando richteten sie sich erst auf die Tasche und dann lange auf Pauls Gesicht. »Wie kommen Sie darauf, dass ich an dieser Aktentasche interessiert bin?«, fragte sie beinahe beleidigt.
    Paul stutzte. »Ich dachte . . . ich meinte . . . – Wollen Sie denn nicht wissen, womit sich Ihr Mann kurz vor seinem Tod beschäftigt hat?«
    Langsam, aber sehr entschieden schüttelte die Witwe ihren Kopf. »Sehen Sie sich um.«
    Erst jetzt nahm Paul die Bilder an den Wänden wahr. Zeichnungen, Stiche, Malereien. Er erkannte Kaspar Hauser auf einem halben Dutzend der Bilder wieder. »Ihr Mann hatte nun einmal eine Schwäche für . . .«, deutete Paul an.
    »Ich würde es eher einen ausgeprägten Spleen nennen«, unterbrach ihn Frau Henlein resolut. »Er hat alles gesammelt, was auch nur im Entferntesten mit dem Namen Hauser in Verbindung gebracht werden konnte. – Wir waren dreiunddreißig Jahre lang verheiratet. Haben Sie eine Ahnung, wie viel man in dieser Zeit sammeln kann?«
    Paul warf einen Blick auf die Buchtitel in den Regalen. »Wenigstens war es ein sinnvolles Hobby«, versuchte er die Witwe zu trösten.
    Diese schüttelte abermals den Kopf. »Nein – eher ein sehr teures.« Plötzlich und ohne jede Vorwarnung verlor Frau Henlein ihre ohnehin erstaunliche Selbstbeherrschung. Ihre Wangen färbten sich rot, und im gleichen Moment schossen ihr die Tränen in die Augen. Laut schluchzend verbarg sie ihr Gesicht in den Händen.
    Paul stand auf und beugte sich über sie. Er wollte zum Trost seinen Arm um sie legen, ließ es dann aber bleiben. Er war kein Vertrauter, vielleicht wäre eine solche Geste zu aufdringlich.
    Behutsam sagte er: »Ich glaube, es ist besser, wenn ich mich jetzt verabschiede.« Als die Witwe nicht antwortete, sondern nur heftig weiterweinte, wandte sich Paul zum Gehen.
    Doch ebenso unvermittelt, wie sie zu weinen begonnen hatte, fing sich Frau Henlein auch wieder. Mit geröteten Augen sah sie Paul an. »Jeder weiß, dass mein Mann damit nur seine eigene unbekannte Herkunft aufarbeiten wollte.« Traurig fügte sie hinzu: »Ich habe ihn dabei

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