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Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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wurde Paul konkreter. »Ich habe hier viele wichtige berufliche Kontakte. Soll ich die etwa alle aufgeben?«
    »Warum denn nicht?«, fragte Katinka. »So etwas haben bereits Millionen von Frauen für ihre Männer getan. Es wird Zeit, dass auch einmal ein Gegenexempel statuiert wird.«
    Paul stieß die Gabel in den Karpfen. »Aber ich müsste ja nicht nur mein Atelier auflösen, sondern würde auch meinen Freundeskreis verlieren – meine Heimat.«
    »Es wird wirklich Zeit, dass du mit deinen annähernd vierzig Jahren mal einen Blick über den Tellerrand wirfst«, sagte Katinka nun energisch. »Warst du überhaupt schon einmal für länger als einen Monat außerhalb der Stadtmauern Nürnbergs?«
    Paul nickte heftig. »Klar, zum Grundwehrdienst bei den Heeresfliegern in Roth.«
    Katinka fand kurzfristig ihr Lächeln wieder. Wieder war sie es, die Kontakt zu Paul suchte und ihre Hand auf seine legte. »Mit uns beiden läuft es doch eigentlich sehr gut. Warum sollen wir das aufs Spiel setzen?«
    »Ich habe doch überhaupt nicht vor, irgendetwas aufs Spiel zu setzen«, sagte Paul ehrlich.
    Katinka blickte ihn intensiv an, als wollte sie ihn fragen, ob er sie liebte. Sie suchte in seinem Gesicht nach Antworten – doch die blieb Paul ihr schuldig. Schließlich löste sie ihre Hand von seiner, und sie beendeten schweigend ihre Mahlzeit.
    Ihre Verabschiedung voneinander geriet profan: »Du hast zur Zeit doch kein Fahrrad, stimmt’s?«, erkundigte sich Katinka.
    »Stimmt«, bestätigte Paul ein wenig verwundert über ihre Frage. »Es wurde mir letztes Jahr zusammengefahren – leider. Schrottplatzreif.«
    »Ich habe da einen Tipp für dich, da ich annehme, dass du gerade kein Geld für ein neues hast«, sagte Katinka gönnerhaft. »Beteilige dich an der nächsten Polizeiversteigerung morgen früh. Da kommt Diebesgut unter den Hammer, dessen ursprüngliche Besitzer nicht mehr zu ermitteln waren. Vielleicht ist ja etwas für dich dabei.«
    10
    Paul war nach dieser Begegnung viel zu aufgewühlt, um direkt schlafen zu gehen. Katinka hatte ihn auflaufen lassen. Sie hatte ihn nicht wirklich vor eine Wahl gestellt, sondern ihm nur eine einzige Möglichkeit für seine Entscheidung gelassen. Wollte Paul mit Katinka zusammenbleiben, musste er sich ihrem Willen beugen und ihr nach Berlin folgen, dachte er verbittert. Auf seine Interessen und seine Lebensplanung wurde dabei anscheinend keine Rücksicht genommen.
    Der Weinmarkt, Pauls Refugium, lag in spätabendlicher Ruhe und Geborgenheit vor ihm. Gedankenversunken schritt er über das Kopfsteinpflaster und spürte, wie die Luft allmählich herbstlich frisch wurde.
    War Katinka wirklich so selbstsüchtig? Erwartete sie von ihm, dass er sein eigenes Leben dem ihrem unterordnete? – Oder hatte er selber ein verzerrtes Bild von der Realität?
    Zugegeben: Beruflich wäre es vielleicht wirklich kein großes Opfer für ihn, den Standort Nürnberg gegen einen anderen, womöglich sogar abwechslungsreicheren, einzutauschen, überlegte Paul, während er den Weinmarkt wieder verließ, er wollte noch nicht nach Hause. Auch seine privaten Kontakte waren kein wirklicher Grund, einen Ortswechsel kategorisch auszuschließen. Aber wie stand es mit seiner emotionalen Bindung an Nürnberg, an Franken? Danach fragte keiner!
    Ohne festes Ziel steuerte Paul auf den verwaisten Hauptmarkt zu, der ohne die vielen Gemüsestände und Menschen, die ihn am Tag füllten, kahl und trostlos wirkte. Das Kopfsteinpflaster glänzte nächtlich schwarz.
    Was sollte er nun tun? Für einen Kneipenbesuch war es entschieden zu spät. Außerdem stand ihm der Sinn nicht mehr nach Geselligkeit.
    Er ging die Königstraße hinauf, als er zwei Männern begegnete. Beide hatten die Krägen ihrer Mäntel hochgeschlagen und sahen ihn extrem argwöhnisch, beinahe feindselig an.
    Mit einem Mal fühlte Paul sich nicht mehr wohl in seiner Haut, und er überlegte, ob er nicht besser umkehren sollte. Doch dann fühlte er sich an den Fall Kaspar Hauser erinnert: Ob Hauser bei seinen Spaziergängen durch Nürnberg auch solchen kritischen Blicken ausgesetzt gewesen war wie soeben Paul?
    Er beschloss spontan, einen Abstecher zur Insel Schütt zu unternehmen, wo Hauser untergekommen war. Er wollte ihm nahe sein, versuchen, für einige Momente auf seinen Spuren zu wandeln.
    Die dunkle Pegnitz floss unterhalb des rostbraunen Schuldturms aus Sandstein entlang und reflektierte das flaue Mondlicht. Das Gurgeln des Flusses, das tagsüber vom

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