Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
Hauser-Experte Franz H. auf eine neue Spur gestoßen, durch die er die wahre Herkunft des berühmten Findelkindes endgültig zu klären hoffte. In der Hauser-Stadt Ansbach verunglückte H. tödlich. Es ist uns jedoch gelungen, exklusiv in den Besitz von Forschungsunterlagen des verstorbenen Experten zu gelangen.«
Paul lachte spöttisch auf, musste aber im gleichen Moment einen Sprung nach rechts machen, denn beinahe hätte er einen Passanten umgerannt. Er las weiter.
»Die Untersuchungen von H. konzentrierten sich auf ein Wäschestück, das Hauser während eines gescheiterten Attentats am 17. Oktober 1829 getragen hatte. Bei dem Angriff auf der Hinteren Insel Schütt war Hauser erheblich verletzt worden. Durch die auf dem gut erhaltenen Stoff hinterlassenen Blutspuren erhoffte sich H. Aufschluss über den genetischen Fingerabdruck Hausers.
Bei seinen jahrelangen intensiven Forschungen war H. stets davon ausgegangen, dass Hauser tatsächlich aus adligem Hause stammte. Er stützte sich dabei weitgehend auf die Unterlagen des königlichen Kriminologen Anselm Ritter von Feuerbach. Der Staatsrat und Präsident des Appelationsgerichts Ansbach hatte sich seinerzeit der Untersuchung des Mordfalls Hauser angenommen und eine grundlegende These aufgestellt: Er war der Frage nachgegangen, warum den Findling Hauser niemand vermisst hatte, und hatte vermutet, dass ein verschlepptes Kind nur dann nicht als verschollen gilt, wenn man es für tot hält. Feuerbachs wegweisende Schlussfolgerung: › Will man also Kaspars wahre Identität herausfinden, so muss man ihn unter den Toten suchen. ‹ Der Nürnberger Hauser-Experte H. hatte diese eingängige These aufgegriffen und geäußert, dass in einem dem Adel geweihten Grab ein fremdes Kind anstelle von Hauser gebettet worden war und bis zum heutigen Tag dort liegt.«
Den Rest des Artikels überflog Paul nur, doch es waren keine weiteren interessanten Details enthalten. Dann faltete er die Zeitung zusammen, klemmte sie sich unter den Arm und sah auf die Uhr. Es war kurz vor zwölf. Hoffentlich machte Zetschke keine Mittagspause, dachte Paul, während er durch die Karlstraße eilte.
Er kannte den Laden, ein kleiner Devotionalienhandel am Trödelmarkt, weil er unzählige Male daran vorbeigegangen war. Zetschke selbst aber war ihm unbekannt.
Der Trödelmarkt war eine Insel, die wie ein vertäutes Schiff in der Pegnitz lag. Als Taue fungierten Brücken und Stege, die den Trödelmarkt praktisch von allen Seiten zugänglich machten. Paul hatte sich kein Konzept zurechtgelegt, als er das innerstädtische Eiland mit seinen liebevoll rekonstruierten Fachwerkbauten kurz darauf erreichte und auf Zetschkes Geschäft zusteuerte. Er wollte den Mann zunächst einmal nur auf sich wirken lassen und mit etwas Glück ein paar weitere Informationen über Henlein und dessen Hauser-Sucht gewinnen. Nicht mehr und nicht weniger erwartete er, als er die Holztür mit den quadratischen Glasfenstem öffnete und in einen schmalen, dunklen Verkaufsraum trat.
Es roch stark nach Kerzenwachs und Weihrauch. Paul stand einem Tresen aus dunklem Holz gegenüber, dahinter waren geschnitzte Heilige, Kruzifixe und Kerzen in allen erdenklichen Größen und Ausstattungen in einem übervollen Regal ausgestellt. Der Raum war klein, und als sich Paul suchend nach Zetschke umsah, hätte er beinahe einen Korb mit Marien umgestoßen. Die Figuren waren bereits leicht lädiert, und beim näheren Hinsehen bemerkte Paul die roten Aufkleber mit dem Hinweis »Reduziert«.
»Grüß Gott!« Ein freundlich lächelnder Mann lüftete einen Vorhang, der offenbar ein Nebenzimmer abtrennte, und kam auf Paul zu. Er war mittelgroß, um die vierzig und trug einen lässig sitzenden, dunkelbraunen Cordanzug. Schwarzes, welliges Haar reichte ihm bis knapp über die Schultern. Sein Gesicht wirkte leicht verlebt, das unrasierte Kinn unterstrich diesen Eindruck. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
Paul sah ihn ein wenig ratlos an. Er konnte ja wohl kaum mit der Tür ins Haus fallen und Zetschke über Henlein ausfragen, also musste er zunächst einmal sein Vertrauen gewinnen.
Doch der Händler machte es ihm leicht. Mit einer weit ausholenden Handbewegung zeigte er auf sein schier unüberschaubares Sortiment. »Katholisch? Suchen Sie nach einer gut erhaltenen Madonnenstatue oder darf es vielleicht die Replik eines Altarkreuzes sein? Ich könnte Ihnen sogar einen ausgedienten Ambo besorgen, ein Predigtpult.«
Paul schüttelte dankend den
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