Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
versäumt, darüber zu lachen«, sagte Paul mit gespielter Unterwürfigkeit.
»Also, meinetwegen«, meinte Blohfeld. Paul hörte das Zischen eines Streichholzes. Dann ein genussvolles Saugen. Wenn er sich eine Zigarre genehmigte, stellte er sich wohl auf ein längeres Telefonat ein. »Zunächst einmal: Das Wort Patriziat ist ursprünglich ein Begriff aus dem Humanismus. Es stand für die führenden Familien in unserer guten alten Reichsstadt, die Großkopferten also.« Blohfeld paffte, schmatzte und erzählte dann weiter: »Anfangs gab es ja kaum Unterschiede zwischen dem Land – und dem Stadtadel. Aber spätestens in der Mitte des 14. Jahrhunderts trennten sich deren Wege. Der Stadtadel wandte sich dem Fernhandel und den lukrativen Finanzgeschäften zu.«
»Die Patrizier besetzten also schon früh die Machtzentralen der Stadt?«, unterbrach Paul.
»Macht? Ja. Aber die Macht war auf vielen Schultern verteilt: Um 1540 waren es ungefähr vierzig Familien, die als ratsfähig galten und damit die Geschicke der Stadt lenkten. Nach und nach setzten diese Clans immer mehr Rechte für sich und ihre Günstlinge durch. Sogar gegenüber der mächtigen Reichsritterschaft konnten die Patrizier nach einigem Hin und Her ihre fränkischen Dickköpfe behaupten und galten seitdem als ebenbürtig.«
»Diese uralten Familien haben die Stadtpolitik kontinuierlich bis zur heutigen Zeit geprägt, ist das richtig?«, spitzte Paul die Aussage Blohfelds zu.
»Jein«, sagte der Reporter. Er sog wieder ausgiebig an seiner Zigarre. »Sie hätten es vielleicht gern getan. Aber mangels Nachkommen konnten sie schon bald nicht mehr alle wichtigen Ämter besetzen.«
»Sie meinen: Einige der alten Patriziergeschlechter starben aus?«
»Nicht nur einige, sondern ziemlich viele erloschen. Denken Sie nur an die Baumgärtners, die Schürstabs oder die Schlüsselfelds.« Blohfeld pustete den Rauch hörbar ins Telefon. »Am Schlimmsten traf es die Patrizier in der Stunde der fränkischen Schmach – bei der Einverleibung durch Bayern: Von den fünfundzwanzig bis dahin blühenden patrizischen Geschlechtern wurden nur die alten Familien in den bayerischen Adelsstand der Freiherrenklasse aufgenommen, während der große Rest sich mit der Klasse der einfachen Adligen zufrieden geben musste. Können Sie sich vorstellen, was da los war? Da wären beinahe aus eingeborenen Nürnbergern echte Revolutionäre geworden – was ja an sich schon ein Widerspruch ist.«
»Wie steht es mit der Familie von Buchenbühl?«, kam Paul auf den Punkt.
»Der Name sagt mir jetzt nichts.« Blohfeld zögerte. »Wobei: Ist das nicht die Familie, die im Krieg umgekommen ist?«
»Ja«, sagte Paul knapp.
»Nun, was soll mit den von Buchenbühls großartig anders gewesen sein als mit den vielen anderen blaublütigen Geschlechtern, die es heute nicht mehr gibt? Sie gehören zur Stadtgeschichte, nicht mehr und nicht weniger. – Warum fragen Sie eigentlich?«
»Ach«, sagte Paul lapidar, »ich hatte da nur so einen Gedanken.«
»Soso, und deswegen halten Sie mich von der Arbeit ab, ja? Sie führen doch etwas im Schilde. Was ist mit den von Buchenbühls? Hat diese Familie was mit unseren Mordfällen zu tun?«
»Nichts Bestimmtes«, wich Paul aus, »ich werde mich wieder melden, wenn ich mehr weiß.« Damit legte er auf.
Immerhin wusste er jetzt, dass ausgestorbene Patrizierfamilien in der Geschichte nichts Ungewöhnliches waren. Gleichwohl wähnte sich Paul noch immer auf einer heißen Spur. Er beschloss, im Internet den Namen der von Buchenbühls zu googlen.
Unter den Eintragungen stieß er schnell auf das Stichwort »Wappen«. Paul klickte den Artikel an und begann zu lesen:
»Familienwappen des Geschlechts der von Buchenbühls (ca. 1460-1945): Wappen einer Nürnberger Patrizierfamilie (daher ohne Ritterhelm). Der Schild ist ein Rundschild. Im unteren Bereich stehen die Zinnen für die Nürnberger Kaiserburg, weil die Familie sich u.a. für den Erhalt der Burganlagen einsetzte; deshalb auch Pfeil und Bogen im rechten Bereich.«
Paul nippte an seinem mittlerweile kalten Cappuccino und las weiter: »Das Gelb ist heraldisch keine Farbe, sondern steht für das Metall Gold; genauso das Weiß für das Metall Silber. Das Gold steht für den Reichtum der Familie.«
Paul übersprang einige Zeilen, da er schon entdeckt hatte, was ihn interessierte: »Charakteristisch für das Wappen des Geschlechts der von Buchenbühls ist die Abbildung der Madonnenlilie. Im Christentum galt die
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