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Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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aus der jungen Polizistin heraus, »und jetzt kommt der Hammer: Diese Verschiebung war bei allen vier Schrauben nahezu gleichstark ausgeprägt!«
    »Und das heißt. . .«, Paul hatte jetzt doch Mühe, dem fachlichen Exkurs zu folgen.
    »Das heißt, dass nicht nur eine, sondern sämtliche Schrauben nicht festgezogen waren! Was wiederum den Schluss zulässt, dass sie vorsätzlich gelöst worden sind. Denn niemand ist so nachlässig, dass er das Nachziehen bei allen vier Schrauben vergisst.«
    »Sie glauben also doch an einen Selbstmord?«, folgerte Paul betrübt.
    »Nein, diesen Gefallen werde ich der Versicherung nicht tun«, entgegnete Jasmin Stahl entschieden. »Ich glaube an Mord – und zwar an einen beinahe perfekten Mord.«
    In Pauls Kopf überschlugen sich die Gedanken: War sich die Kommissarin im Klaren darüber, was sie da gerade gesagt hatte?
    »Jeder wusste, dass Henlein seine Reifen selbst wechselte: Alle Nachbarn konnten das im Frühjahr und Herbst von ihren Balkons aus beobachten«, erklärte sie. »Der Mörder konnte also davon ausgehen, dass bei einer Reifenpanne die Schuld bei Henlein selbst gesucht werden würde. Und so kam es dann ja auch. – Ich würde sagen: eine beinahe perfekte Tat.«
    Also doch Mord! Paul konnte es kaum glauben, und noch weniger konnte er die Folgen dieser Erkenntnis einschätzen. Was bedeutete Jasmin Stahls Entdeckung für den Fall Kaspar Hauser?
    »Herr Flemming, sind Sie noch dran?«, holte sie Paul aus seinen Überlegungen.
    »Ja, sicher.«
    »Ich habe die Ergebnisse aus Wiesbaden schon an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.«
    »Gut, das ist sicher richtig«, stammelte Paul.
    »Sie wirken ziemlich mitgenommen, aber ich habe gedacht, Sie sollten das wissen. Schließlich haben Sie Henlein gekannt«, sagte Jasmin Stahl, wobei ihre Stimme nun sehr ruhig war, nicht mehr geschäftlich.
    Sie klang bei weitem nicht mehr so frech und vorlaut wie bei ihrer ersten Begegnung, dachte Paul.
    »Wenn Sie mögen, können wir auf den Schreck ja heute Abend zusammen ein Bier trinken gehen«, schlug sie vor.
    Erneut gelang es Jasmin Stahl, Paul zu überraschen. Er holte tief Luft und sagte: »Es ist Ihnen wirklich hoch anzurechnen, wenn Sie sich um mich Sorgen machen, aber es geht schon wieder. Ich komme zurecht, danke.«
    »Schade«, sagte Jasmin Stahl, »vielleicht ein anderes Mal.«
    »Klar, da findet sich bestimmt eine Gelegenheit.« Sie beendeten das Gespräch, und Paul stand noch eine ganze Weile an seiner Fensterbank und starrte nachdenklich hinaus.
    25
    Die Brötchentüte unter dem einen Arm geklemmt, die Zeitung unter dem anderen, überquerte Paul den Weinmarkt. Obst und Gemüse würde er auch mal wieder kaufen müssen, dachte er, er nahm viel zu wenig Vitamine zu sich.
    Zuhause hatte er gerade das erste Brötchen aufgeschnitten, es mit Butter bestrichen und je eine Scheibe Käse darauf gelegt, als er die Zeitung aufschlug und ihm das neueste Werk von Victor Blohfeld ins Auge sprang:
    »Der Fall Hauser: Verschwörung reicht bis in die heutige Zeit«, hatte der Reporter getitelt. Wie gewöhnlich viel zu dick aufgetragen, dachte Paul, las aber weiter:
    »Der historische Fall Hauser bleibt brandaktuell. Nach den Ereignissen der letzten Tage äußern immer mehr Leser in Briefen und E-Mail-Zusendungen ihr Unverständnis über die Tatenlosigkeit der Ermittlungsbehörden. Die Ereignisse aus dem Jahr 1833 werfen ein erschreckend verräterisches Licht auf die handelnden Personen der damaligen und heutigen Zeit. Mehr und mehr Indizien sprechen dafür, dass der Nürnberger Hauser-Forscher Henlein einem Mordkomplott zum Opfer gefallen ist, dessen Ursprung mehr als ein Jahrhundert zurückliegt.«
    Wie kam Blohfeld bloß wieder darauf, fragte sich Paul erstaunt. Dieser Kerl hatte doch immer wieder den richtigen Riecher, dachte er anerkennend. Er vertiefte sich in den Artikel, doch leider blieb der Autor jeden Beweis für seine Behauptung schuldig. Paul wunderte sich, warum sich Blohfeld so weit aus dem Fenster lehnte. Andererseits hatte er kaum etwas zu befürchten, denn er machte ja in keiner Zeile Andeutungen, wer konkret hinter dem angeblichen Mordkomplott stecken könnte.
    Paul schmunzelte, während er die Zeitung beiseite legte. Blohfeld saß also noch immer auf dem Trockenen. Mutmaßungen hin oder her – im Fall Hauser kam der Reporter rein faktisch keinen Schritt weiter.
    Paul konnte nicht verhehlen, dass es ihn amüsierte, wie sich Blohfeld ohne einen wirklichen Erfolg abstrampelte,

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