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Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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die mächtige Tür auf. »Beton und Stahl geben die Schwingungen der Glocken weiter. Die Türme beginnen dann zu eiern.«
    »Zu was?«, fragte Paul.
    »Mein Kollege will sagen, dass das Glockenläuten den Nordturm bis zu zweiundzwanzig Millimeter stark schwanken lässt«, erklärte Hertel ernstlich besorgt.
    »Der Südturm ist mit elf Millimetern weniger problematisch, aber der Nordturm bereitet mir echtes Kopfzerbrechen«, sagte Fink, und auch seine gute Laune schien plötzlich verflogen zu sein.
    Als sie die Kirche betraten und Paul die Luft atmete, die so charakteristisch nach feuchtem Stein und Kerzenrauch roch, beschloss er, dass es endlich an der Zeit war, sein eigenes Anliegen vorzutragen:
    »Bevor ihr beiden in schwindelerregende Höhen aufsteigt und mit den Glocken schwingt, würde ich gern noch etwas über Wappen erfahren«, suchte Paul nach einer nicht allzu ernsten Überleitung.
    Die beiden Pfarrer blieben stehen und sahen ihn verwundert an.
    »Wie kommst du denn jetzt auf Wappen?«, fragte Fink sichtlich irritiert.
    »Na ja«, begann Paul, »du hast mir schon so oft von den vielen Familienwappen der Patrizier und ihrer Bedeutung für St. Sebald erzählt.«
    »Die Patrizier?«, schaltete sich Hertel ein. »Für St. Lorenz waren sie nicht weniger wichtig. Was liegt Ihnen denn auf dem Herzen, junger Mann?«
    Paul blickte beide Pfarrer abwechselnd an, während er abwiegelte: »Ach, diese Sache hat eigentlich überhaupt nichts mit der Kirche zu tun. Es ist nur so, dass ich in letzter Zeit immer wieder mit dem Thema Heraldik konfrontiert wurde, und in der Beziehung bin ich nun mal ein blutiger Laie.« Paul zog einen Stoß Fotoabzüge aus seiner Jackentasche, den er am Morgen eingesteckt hatte.
    »Lass mal sehen.« Fink schnappte sich die Bilder und blätterte sie schnell durch. Dann gab er sie an Pfarrer Hertel weiter. »Das sind die Wappen der bedeutendsten Patrizierfamilien«, sagte Fink lapidar. »Sie alle sind in meiner Kirche vertreten. Allesamt großzügige Spender. Wo hast du die Fotos gemacht? Sie sehen aus wie Gravuren auf Metall.«
    Auch Hertel sah die Bilder interessiert durch.
    »Die Wappen stammen von einem Schwert«, erklärte Paul. »Einer sehr alten Waffe aus dem Germanischen Nationalmuseum. Kommt dir an den Abbildungen irgendetwas verdächtig vor?«
    Fink schüttelte den Kopf, so dass sein Pferdeschwanz tanzte. »Verdächtig? Mein lieber Paul: Was soll an einem klassischen Patrizierwappen denn verdächtig sein?«
    Paul zog ein weiteres Bild hervor. »Und diese Blume?« Er reichte Fink die beiden Fotos der Lilie: Eins zeigte Henleins Medaillon, das andere noch einmal die Klinge des Schwertes.
    Fink nahm die Bilder und hielt sie in einigem Abstand nebeneinander vor sich. »Das ist . . .« Er zog seine Stirn in Falten. »Eine Lilie! Ja, zweifelsfrei eine Lilie. Wenn du nicht diese Einleitung mit den Wappen gemacht hättest, wäre ich wohl selbst nicht darauf gekommen«, sagte Fink und hatte es plötzlich sehr eilig, die Kirche zu durchqueren.
    Paul und Pfarrer Hertel folgten ihm. Fink gab einen verwirrenden Parcours durch die Stützpfeiler des Hauptschiffs vor, blieb immer wieder stehen, schaute nach oben und ging dann weiter.
    Schließlich blieb er an einer der hinteren Säulen stehen und deutete auf eine stark verblasste kolorierte Zeichnung. Sie befand sich auf einer Holztafel, die in etwa zwei Metern Höhe angebracht war. »Die Lilie. Gar nicht so einfach, sie im Dickicht der in jedem Wappen enthaltenen Motive wiederzufinden.« Fink sah Paul zufrieden an. »Da staunst du, was? Erkennst du deine Lilie? Sie ist nur ein kleiner Bestandteil des Wappens, aber immerhin: Ich habe mich daran erinnert. – Übrigens ist es das Wappen der Familie von Buchenbühl. Ein altes Patriziergeschlecht. Sie waren einst die Hauptsponsoren unserer Kirche.«
    Fink redete weiter, doch Paul konnte ihm nicht mehr folgen. Fasziniert starrte er auf das blasse Abbild des ehemals stolzen Familienwappens. Was er sah, war ein Schild, umrahmt von einem wallenden roten Mantel, hinter dem zwei Spieße hervorragten. Über dem Mantel war eine altertümliche Waage gezeichnet. Das Schild selbst war dreigeteilt. Im unteren Teil gab es eine stilisierte Stadt – oder Burgmauer. Die rechte Seite füllten in Schwarz gezeichnete Pfeil und Bogen vor gelbem Hintergrund aus. Die linke Hälfte war blau ausgemalt. Und in der Mitte prangte die weiße Lilie.
    Paul fühlte sich wie elektrisiert. Als er die beiden Bilder, die die Lilie zeigten,

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