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Paul Flemming 03 - Hausers Bruder

Titel: Paul Flemming 03 - Hausers Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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höflig.«
    »Können Sie mir seine Zimmernummer sagen?«
    Die Putzfrau nickte eifrig: »Sieben.« Paul bedankte sich und gelangte durch eine Tür in einen weiteren Flur.
    Er war menschenleer und wirkte wie ausgestorben. Paul hatte kaum noch Hoffnung, diesen Dittrich noch an seinem Arbeitsplatz anzutreffen, trotzdem klopfte er zwei Mal kräftig an die Tür, als er sein Büro endlich gefunden hatte.
    »Herein, bitte«, klang es dumpf aus dem Inneren und Paul trat erleichtert ein.
    Herr Dittrich entsprach ganz und gar nicht Pauls Vorstellungen. Er hatte einen grauen Beamten erwartet. Jemanden im Nullachtfünfzehn-Anzug und mit Allerweltsgesicht; jemanden, den man am nächsten Tag vergessen hatte. Doch Dittrich erfüllte diesen Stereotyp nicht.
    Paul sah sich einem klein gewachsenen Mann mit ungewöhnlich faltigem Gesicht, grauen Haaren und buschigen Augenbrauen, die über zwei spitzbübisch blitzenden Augen wucherten, gegenüber. Paul ahnte sofort, dass er es mit einem cleveren und mit Wissen beschlagenen Mann zu tun hatte. Jetzt konnte er gut nachvollziehen, was die dürre Dame, die ihm seinen Namen genannt hatte, mit ihrer Andeutung gemeint hatte.
    »Flemming, Paul Flemming«, stellte Paul sich vor.
    Dittrich sah ihn neugierig an. »Der Fotograf?«
    »Sie kennen mich?«
    »Nicht Sie, aber einige Ihrer Werke.« Verschmitzt fügte er hinzu: »Als Archivar sollte man sich nicht nur mit der Historie befassen, sondern auch die Gegenwart immer im Auge behalten. – Aber bitte, setzen Sie sich!«
    »Danke, gern. Mir wurde gesagt, dass Sie sich sehr gut mit unseren Nürnberger Patrizierfamilien auskennen. – Aber Sie wollten wahrscheinlich gerade Feierabend machen . . .«
    Dittrich schüttelte den Kopf. »Was wollen Sie denn wissen?«
    Paul fragte nach den von Buchenbühls, ohne dabei zu viel über seine wahren Beweggründe zu verraten.
    »Von Buchenbühl?«, wiederholte Dittrich, rieb sein zerknittertes Gesicht und erhob sich von seinem Schreibtischstuhl.
    Der kleine Mann ging mit suchendem Blick durch sein quadratisches Büro, in dem sich Aktenordner und Kartons stapelten. Es sah hier nach Arbeit aus – nach sehr viel unerledigter Arbeit, dachte Paul. »Können Sie mir sagen, ob diese Familie tatsächlich nachweislich ausgestorben ist?«
    »Eine wirklich seltsame Frage«, antwortete Dittrich. »Die von Buchenbühls zählten zu den ältesten Geschlechtern Nürnbergs. Sie tauchten Mitte des 15. Jahrhunderts zum ersten Mal in der Geschichtsschreibung auf und zählten schon bald zur Führungsriege«, spulte er sein Wissen herunter.
    »Das interessiert mich näher«, ging Paul bereitwillig darauf ein, »können Sie mir ein paar Details über diese Familie erzählen?«
    »Mehr als genug. Das wäre dann allerdings ein abendfüllendes Programm.«
    »Und eine Zusammenfassung?«
    »Gut.« Dittrich nickte. »Dann aber zunächst ein paar Grundbegriffe, damit Sie auch wissen, wovon ich spreche.« Er räusperte sich. »Das Patriziat setzte sich aus Nürnberger Bürgern zusammen und wurde durch den Ältestenrat 1521 als Standesvorrecht offiziell festgeschrieben. Damals wurde unterschieden zwischen dem ersten alten Geschlecht, also denjenigen Familien, die bereits 1332 im Rat zugelassen worden waren, die Tuchers zum Beispiel oder den Schürstabs und Behaims, dem sogenannten anderen Geschlecht mit den Imhoffs und Pirkheimers sowie dem dritten Geschlecht mit den Familien Hirschvogel und Fürer . . .«
    »Lassen Sie mich raten: Die von Buchenbühls zählten zum ersten alten Geschlecht.«
    »So ist es«, bestätigte Dittrich. »Und sie konnten sich über all die Wirren der Zeit hinweg in ihrer starken Position behaupten. – Die von Buchenbühls blieben wie die meisten Patrizierfamilien lange Zeit kaiserlich gesonnen. Manch ein junger Patriziersohn trat im 19. Jahrhundert den Militärdienst unter den Habsburgern an. Nur hohe, vom bayerischen König angedrohte Strafen zwangen das Patriziat und damit auch die von Buchenbühls umzudenken und sich dem neuen Königreich Bayern anzuschließen. Sie waren von jeher stolz und unabhängig in ihrem politischen Denken. Und natürlich auch, was ihre Religion betraf.«
    Ähnlich hatte es Blohfeld geschildert, dachte Paul und stellte fest: »Danach ist es aber still geworden um die von Buchenbühls.«
    »Nicht still, aber die Blüte der Familie war überschritten, könnte man sagen. Die von Buchenbühls mischten von da an eher im Hintergrund mit und hielten sich weitgehend an die königlich bayerischen

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