Paul Flemming 03 - Hausers Bruder
mürrisch gemeldet hatte, »schon lange nichts mehr über Hauser gelesen, was ist denn da los?«
»Sie brauchen gar nicht so ironisch zu sein«, blaffte ihn der Reporter an. »Keine Sorge: Die Sache geht weiter. Ich habe den Verleger überzeugen können, und er lässt etwas Geld springen. Die Genanalyse ist somit gesichert.«
»Das ist aber schön für Sie«, sagte Paul ehrlich erfreut. »Und wann ist mit einem Ergebnis zu rechnen?«
»Nun – heute ist Samstag, da arbeitet natürlich kein Labor. Ich denke, dass im Laufe der nächsten Woche die Ergebnisse vorliegen werden.«
»Da bin ich ja mal gespannt«, sagte Paul und blätterte währenddessen in der Zeitung. Plötzlich stutzte er: In den aktuellen Tagestipps war eine Veranstaltung der Nürnberger Altstadtfreunde angekündigt. Für heute wurde eine Führung über den Franziskanerhof empfohlen. Da Paul die Ansichten der Altstadtfreunde und deren Missbilligung von Neubauten in der Altstadt bereits kannte, konnte er sich ausmalen, dass es sich eher um eine Demonstration als um eine Führung handeln würde. Aber. . .
»Sind Sie noch dran?«, fragte Blohfeld in die Stille.
»Nein, eigentlich nicht.« Paul legte auf. Aufgeregt las er erneut die kurze Ankündigung, dann sah er auf die Uhr. Wenn er sich beeilte, würde er es gerade noch schaffen!
Paul nahm sein violettes Fahrrad, um die kurze Strecke bergab schnell zurücklegen zu können: Erst schoss er den Burgberg hinunter, dann die Winklerstraße entlang.
Die Baustelle im Herzen der City war gigantisch. Vier hohe Kräne ragten in den Himmel, und wo vor wenigen Wochen noch ein halbes Dutzend baufälliger Mehrfamilien-und Geschäftshäuser gestanden hatte, klaffte jetzt ein riesiges Loch.
Paul erkannte die Altstadtfreunde nahe einer Lücke im Bauzaun, durch die an Werktagen die Muldenkipper, Bagger und Betonmischer fuhren. Die Gruppe, hauptsächlich konservativ gekleidete Pensionäre, fiel schon von Weitem auf, da jeder Zweite ein Transparent oder Plakat in der Hand trug, auf dem Sprüche zu lesen waren wie:
»Rettet die Altstadt – NEIN zum Franziskanerhof-Projekt!« oder: »Stoppt den Kahlschlag in der Altstadt – Stoppt Bernhard Schrader!«.
Paul lehnte sein Rad an einen Verkaufskasten von Blohfelds Zeitung und schloss sich der Gruppe an. Trotz der hetzerischen Plakate tauchte wenig später ein auffällig freundlich lächelnder Herr in Anzug und sorgfältig gebundener Krawatte auf und winkte die Gruppe näher an die Baustellenzufahrt heran.
»Kommen Sie!«, rief er. »Nur keine Scheu! Wir haben nichts zu verbergen. Schauen Sie sich unsere Vision vom neuen Franziskanerhof in aller Ruhe an, und bilden Sie sich dann Ihre Meinung.«
Paul folgte der sich nur langsam in Bewegung setzenden und Widersprüche murmelnden Menge auf die Baustelle. Der Herr im Anzug stellte sich als Dr. Manfred Klier vor, der Architekt:
»Im Namen des Bauherrn, Herrn Schrader, begrüße ich Sie herzlich zu unserem Rundgang durch die Zukunft. Erleben Sie das Nürnberg von morgen – in der Tradition von gestern. Bitte beachten Sie dabei die Sicherheitshinweise, denn aus terminlichen Gründen wird bei uns auch am Wochenende gearbeitet.«
Automatisch schaute Paul zu den Kränen hoch, deren Ausleger sich über der Gruppe bewegten. Dass er sich die nächste halbe Stunde unterhalb der unablässig kreisenden Arme aufhalten würde, behagte ihm überhaupt nicht.
Geschlossen ging die Gruppe weiter. Paul folgte den anderen über Schotter, aufgewühlte Erde und Holzbretter bis ans andere Ende des weitläufigen Areals. An der Pegnitz blieben sie stehen, worauf viele der Teilnehmer vor Ehrfurcht ihre Transparente sinken ließen: Erst jenseits des Bauzauns ließ sich die Größe der Baustelle erfassen.
Die Baugrube hatte gigantische Ausmaße: Sie war ein gewaltiges Loch. Größer und tiefer als alles, was Paul je gesehen hatte. Und das unmittelbar neben dem Flussbett der Pegnitz!
»Lassen Sie Ihre Fantasie spielen«, forderte Architekt Klier seine Zuhörer auf, »malen Sie sich die Franziskanerhof-Passage als gemauertes Viadukt neben dem Flusslauf aus. Die Last des Glasdachs schwebt auf schlanken Pfeilern wie eine Tischplatte auf Bleistiften – ein Kristallpalast. . .«
Es ertönten vereinzelte Buhrufe, doch die meisten Teilnehmer waren viel zu sehr beeindruckt von den Ausmaßen des Bauprojekts, um zu protestieren, wie Paul belustigt feststellte.
Klier sprach weiter über die einzigartige Architektur der neuen Konsummeile, über den
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