Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
seine seit Jahren einzige erfolgversprechende Beziehung aufgekündigt. Und nun hatte er sich zu allem Überfluss auch noch mit einem jungen Mädel eingelassen, hatte sich womöglich an einer Orgie im Folterkeller beteiligt – und war eventuell sogar zum Triebtäter, zum Mörder geworden. Das wäre wohl der Supergau einer Midlifecrisis!
Voller Unbehagen dachte Paul an seinen vierzigsten Geburtstag. Es waren nur noch wenige Tage bis dahin. Eigentlich hatte Paul das Ereignis gemeinsam mit seinen Freunden feiern wollen. Im Goldenen Ritter natürlich, und Jan-Patrick hätte die ganze Gesellschaft mit saisonaler fränkischer Küche verwöhnt. Zur Jahreszeit passend wahrscheinlich diverse Spargelköstlichkeiten, das fränkische Gold in allen erdenklichen Variationen. Jan-Patrick hatte ja viel Fantasie.
Doch an Feiern war angesichts der Vorwürfe, die gegen Paul derzeit bestanden, nicht zu denken. Die Gedanken an eine ausgelassene Party und butterweichen fränkischen Spargel verflogen so schnell, wie sie aufgekommen waren. Pauls vierzigster Geburtstag war mit einem Mal völlig bedeutungslos geworden. Jedenfalls solange ihm eine langjährige Haftstrafe drohte.
Plötzlich fühlte sich Paul eingesperrt in seinem engen Renault. Er überlegte, ob er ein wenig spazieren gehen sollte, während sich Hannah in der Villa aufhielt. Aber dann wäre er vielleicht nicht gleich zur Stelle, wenn sie mit möglicherweise wichtigen Neuigkeiten herauskommen würde.
Also suchte Paul nach anderer Ablenkung. Sein Blick fiel auf eine gefaltete Zeitung auf dem Rücksitz. Die hatte er zwar schon vor ein paar Tagen gekauft, aber zum Gedankenzerstreuen würde sie sicher noch taugen.
Auf der Titelseite dominierte die Politik. Angst vor neuen Anschlägen in . . . — Der Klimawandel und seine Folgen . . . – Schlagabtausch im Bundestag. . .
Mit einem großen Farbbild wurde das Norisring-Rennen angekündigt, die legendären »200 Meilen von Nürnberg«. Zu sehen waren einige windschnittige Rennwagen und die einprägsame Kulisse der Steintribüne. Ein Überbleibsel aus der Nazizeit, einst für die Reichsparteitage konzipiert, heute Zuschauerrang für die Besucher des Rennens. Paul überflog die Bildunterschrift.
Da ging es weniger um das Rennen selbst als um die erwarteten VIPs: »Klar kommen die Promis gern zu uns«, wurde der Rennleiter zitiert, »immerhin ist der Norisring nach Monaco die traditionsreichste Stadtrennstrecke.«
Paul schmunzelte über das ausgeprägte Selbstbewusstsein der Veranstalter, musste dann aber angesichts der Auflistung der angemeldeten Persönlichkeiten anerkennend nicken: »130000 Besucher kommen an die 2,3 Kilometer lange Rennstrecke«, las er, »auch der ehemalige James-Bond-Darsteller Roger Moore, zur Zeit auf Deutschlandreise, war bereits da. Gestern ließ er sich an den Ring chauffieren, schaute sich mit Kennerblick die Aufbauarbeiten in den Boxengassen an. Zur Eröffnungsgala auf einem schwimmenden Ponton im Dutzendteich werden erwartet: Schauspielerin Veronica Ferres und Kabarettist Mario Barth, Regisseur Bernd Eichinger und Dieter Bohlens Ex-Freundin Estefania.« Außerdem dabei sein würden laut Zeitungsbericht die Vorstände aller beteiligten Autokonzerne und, und, und . . .
Jede Menge weitere Namen wurden in dem Artikel aufgeführt, und Paul nahm mit gewisser Bewunderung zur Kenntnis, wie prominent das Norisring-Rennen offenbar auch auf internationaler Ebene war. Viele Politiker und Wirtschaftsbosse hatten sich Karten für die VIP-Tribünen gesichert. Paul überflog die Namen, und fast jeder war ihm geläufig. Selbst der millionenschwere schwedische Hedge-Fonds-Manager Lambert Wormser war aufgelistet, ein gebürtiger Nürnberger, wie Paul wusste. Wormser hatte erst vor ein paar Wochen für Schlagzeilen gesorgt, als er die Aktienmehrheit einer ganzen Fluggesellschaft aufgekauft und mit Gewinn wieder abgestoßen hatte. Anerkennend las Paul den Bericht zu Ende und blätterte dann weiter.
Hannah ließ auf sich warten. Paul sah mit wachsender Ungeduld aus dem Fenster, ehe er sich wieder der Zeitung zuwandte. Bei einem Artikel über einen ungewöhnlichen Kongress im Messezentrum blieb er hängen: Eine Versammlung von hochkarätigen Wissenschaftlern, die meisten von ihnen Metallurgen, hielt ihre Jahrestagung in Nürnberg ab. Soweit nichts Ungewöhnliches, doch Pauls Aufmerksamkeit wurde von dem daneben platzierten Bild wachgehalten: Es zeigte eine lange, spitz zulaufende Klinge, mehrfach umschlungen von
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