Paul Flemming 04 - Die Meisterdiebe von Nürnberg
»Aber das ist doch kein Grund auszurasten. Was hatte die arme Beate mit unserem persönlichen Frust zu tun?«
»Nichts«, sagte Paul offen. »Deshalb kann ich auch nicht glauben, dass ich ihr etwas angetan haben soll. Selbst im Vollrausch würde ich nicht all meine Werte über den Haufen werfen. Und auf gar keinen Fall wäre ich zu einem Mord imstande!«
»Vielleicht würde es Ihnen ja gut tun, mit Mama über all das zu sprechen«, schlug Hannah nach einigem Nachdenken vor.
»Mit Katinka? Über den Mord?«
»Ja«, bekräftigte Hannah. »Mama lebt jetzt seit über einem halben Jahr in Berlin. Und wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt?«
»Na ja«, druckste Paul herum. »Da war diese SMS. Und das letzte Mal, dass wir miteinander telefoniert haben, dürfte so ungefähr. . .«
»Drei Wochen!«, unterbrach ihn Hannah. »Seit drei Wochen herrscht Funkstille. Glauben Sie ja nicht, dass es mir Spaß macht, meine Mama am Telefon über jeden Ihrer Schritte zu informieren, Abend für Abend. Sie vermisst Sie nämlich sehr. Das könnten Sie eigentlich wissen, wenn Sie nicht so ein verfluchter Gefühlstrottel wären.«
Paul wollte sich rechtfertigen, kam aber nicht mehr dazu. Eine Faust donnerte an die Scheibe. Daneben tauchte das Gesicht Victor Blohfelds auf.
Paul verschüttete seinen Cappuccino. Während er noch dabei war, die Spuren mit der Serviette zu beseitigen, war der Polizeireporter bereits hereingekommen und hatte sich einen Stuhl vom Nachbartisch herangezogen. Rittlings setzte er sich darauf und musterte Hannah lüstern.
»Ich störe doch nicht?«, fragte der hagere Reporter. »Ich habe Neuigkeiten für Sie.«
Paul warf Hannah einen fragenden Blick zu, um sich zu vergewissern, dass sie nichts gegen den Neuankömmling einzuwenden hatte. Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern.
Blohfeld sah sich in dem Lokal um. Außer einem jungen Paar, das sich verliebt anhimmelte, waren sie die einzigen Gäste. »Es geht um diese Tat, die – wie auch immer – mit Ihnen zusammenhängt«, setzte der Reporter konspirativ an.
»Schleichen Sie nicht um den heißen Brei herum«, sagte Paul misstrauisch. »Wollen Sie eine Story über mich bringen, oder was?«
»Eben nicht.« Blohfeld blinzelte ihm zu. »Kennen Sie nicht das schöne Sprichwort? Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Unter Kollegen schwärzt man sich nicht in der Zeitung an.«
»Okay. Und der wahre Grund, warum Sie sich in der Mordberichterstattung so zurückhalten?«, fragte Paul.
Blohfeld sah ihn einen Moment ebenso verblüfft wie enttäuscht an. »Ein wenig mehr Vertrauen könnten Sie mir ruhig schenken«, beschwerte sich der Reporter. »Aber wenn Sie es genau wissen wollen: Der Oberbürgermeister höchstpersönlich macht Druck auf den Polizeipräsidenten, damit der Mord im Lochgefängnis in den Medien heruntergespielt wird.«
»Wieso das?«, schaltete sich Hannah ein.
Blohfeld fuhr sich mit dem Zeigefinger über seine rot geäderte Himmelfahrtsnase. »Nach Meinung der Rathausoberen gibt es zur Zeit in Nürnberg Wichtigeres, über das die Weltpresse berichten soll.«
»Weltpresse, soso!«, amüsierte sich Hannah.
Blohfeld quittierte diese Bemerkung mit einem bösen Blick. »Wir haben zur Zeit Journalisten von allen Kontinenten in der Stadt. Das Norisring-Rennen – die berühmten › 200 Meilen von Nürnberg ‹ – zieht internationale Reporterteams an, die Ausstellung der Reichskleinodien im Alten Rathaus noch viel mehr. Das ist der größte Kultur-Coup seit dem Dürer-Jahr!«
»Sie meinen also, ich werde geschont, damit Feuilletonisten und Motorpresse nicht mit trivialen Verbrechen wie dem Mord an einem Fotomodell behelligt werden?« Paul ließ seinem Sarkasmus freien Lauf.
»Es steckt ja auch eine Stange Geld dahinter. Die Überführung der Reichsinsignien ist teuer, die Schutzmaßnahmen sind aufwendig. Ohne großzügige Sponsoren wäre das alles gar nicht möglich. An erster Stelle steht da Bernhard Schrader. Wir nennen ihn bei uns im Blatt ja gern den Nürnberger Immobilien-König, aber er tut auch viel für die Kultur, und er hat einen sehr guten Draht ins Rathaus und in die Staatskanzlei.«
»Ja«, bestätigte Paul bitter. »Mit Herrn Schrader und seinen handfesten Methoden habe ich ja schon früher Bekanntschaft gemacht.«
»Sehen Sie es als Ihren persönlichen Glücksfall an«, sagte Blohfeld und fixierte Paul. »Das verschafft Ihnen etwas Luft zum Atmen und mehr Zeit für eigene Nachforschungen. – Es grenzt ohnehin an ein
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