Paul sucht eine Frau
Grünes-Meerkatzen-Männchen die Geschlechtsreife, so muss es die eigene Gruppe verlassen. Es ist ein Abnabelungsprozess, der für das Jungtier im ersten Moment hart ist. Langfristig ist es aber die einzige Lösung: Gegen die dominanten Tiere der Gruppe, die Alpha-Männchen, könnte sich ein junges Äffchen, dessen Hoden gerade erst den passenden Blauton entwickelt haben, nicht durchsetzen.
In der freien Wildbahn kann der Verstoßene schließlich seinen eigenen Lebensstil entwickeln. Er muss nicht länger die Verhaltensweisen der Älteren kopieren, sondern kann zu sich selbst finden. Oft dauert es nicht lange, bis so ein Männchen die volle Kontrolle über seine Fähigkeiten findet, seine Selbstzweifel überwindet und einem Affenweibchen einer anderen Gruppe schöne Augen macht – oder eben: Ihr seine Geschlechtsteile präsentiert. Das Äffchen ist nun endlich ein Mann geworden.
Paul sieht auf den Laptop-Bildschirm vor sich. Das Korrekturlesen seines Manuskripts läuft wie von selbst. Die letzten Wochen waren produktiv.
Jetzt sitzt er im Café Knösel – alleine – und lehnt sich zurück. Nico ist vor drei Wochen zusammen mit Jenny auf eine Backpacker-Reise ans Mittelmeer aufgebrochen. Die beiden schlafen in Jugendherbergen oder im Heck von Nicos Bus und sind alle drei oder vier Tage an einem neuen Ort. Bei Facebook sieht Paul regelmäßig, wo sie sich gerade herumtreiben. Zuletzt haben sie Bilder von einem Badestrand in Sizilien veröffentlicht. Wahrscheinlich ist Paul wegen der neuen Ruhe in seinem Leben in den letzten Tagen so gut vorangekommen. Wie dem auch sei – er freut sich für Jenny und Nico.
Paul sieht auf. Die Kellnerin kommt mit seinem Kaffee.
»Bitte sehr«, sagt sie.
»Vielen Dank.«
Paul lächelt sie an.
»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie schöne Augen haben?«
»Heute noch nicht«, sagt sie.
»Ist aber wahr.«
Sie hebt sich das Tablett vor's Gesicht. Vielleicht weil sie rot wird, vielleicht weil sie ihr Lächeln vor ihm verstecken will. Oder beides. Doch kurz darauf nimmt sie das Servierbrett wieder herunter.
»Danke.«
Als sie geht, greift Paul zu seiner Kaffeetasse. Sein Laptop gibt ein Ping von sich, das untrügliche Zeichen, dass er gerade eine E-Mail erhalten hat. Paul nimmt einen Schluck, dann setzt er die Tasse ab und öffnet das Mailprogramm.
In der Betreffzeile sind alle Buchstaben großgeschrieben:
EINLADUNG ZUR FILMPREMIERE.
Paul lehnt sich zurück.
* * *
Als die Mutter Pauls Küche betritt, sieht sie sich kurz um. So als würde sie jemand suchen.
»Nein«, sagt Paul. »Außer mir ist niemand hier.«
Die Mutter lächelt, etwas verkrampft und stellt die Essensschüsseln ab. Der Vater trottet hinterher und schüttelt Paul die Hand. Dann setzen sie sich.
Beim Essen sprechen sie sich über den neuesten Tratsch aus der Pfalz und über Pauls Doktorarbeit. Seine Mutter hält sich angenehm zurück – sie fragt diesmal nicht, wann Paul endlich wieder nach Hause kommt. Auch der Vater bringt sich ein paar Mal in die Unterhaltung ein.
Erst beim Apfelkuchen sagt seine Mutter: »Weißt du, diese Lara war wirklich ein nettes Mädchen.«
Paul hält die Luft an.
»Aber wenn du nicht mehr über sie reden willst, ist das natürlich deine Sache. Ich verstehe das.«
Paul lächelt. »Danke, Mama. Du brauchst dir keine Sorgen um mich machen. Momentan habe ich alles ganz gut unter Kontrolle.«
»Das ist schön. Schmeckt der Kuchen? Das ist doch immer noch dein Lieblingsrezept, oder?«
»Zergeht auf der Zunge.«
Die Eltern bleiben noch drei Stunden, sie spazieren sogar gemeinsam bis in die Altstadt und zurück. Als sie sich am Abend von ihrem Sohn verabschieden, dreht sich der Vater noch einmal im Türrahmen um.
Er legt eine Hand auf Pauls Schulter.
»Weißt du«, sagt er. »Wir freuen uns für dich. Dass du alles so gut im Griff hast. Dein Studium, die eigene Wohnung. Es war nicht immer leicht für uns. Wir konnten uns nicht vorstellen, wie das funktionieren soll. Besonders deine Mutter ...«
»Schon gut«, sagt Paul. Er ergreift die Hand seines Vaters. »Danke.«
* * *
Rugbystühle krachen gegeneinander. Paul kippt um und wird über die Leinwand geschleudert. Schnitt. Nico erscheint. »Ach, was. So schlimm ist das nicht. So lang er nicht auf den Kopf fällt.«
Die Menge lacht. Immer wieder. Scheint so, als kommen er und seine Kumpels als Haufen lustiger Typen rüber. Liebenswerte Rugby-Draufgänger. Aber wie soll er einen Film, in dem er
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