Paula geht
würde auf den richtigen Moment warten, um dann das Richtige zu tun. Was das sein könnte, würde ihr hoffentlich genau dann einfallen.
Schauen wir mal, wer der größere Sturkopf ist – und wer das bessere Timing hat, dachte sie trotzig. Und jetzt sollte sie trotzdem Einschlafen, morgen hatte sie Dienst bei Frau Reichenstein. Sie freute sich, die alte Dame wiederzusehen, das würde sie von ihren Sorgen ablenken.
Ralf schob sich auf einen Platz in der vorletzten Reihe. Es war ungewohnt für ihn, schon vor siebzehn Uhr seinen Arbeitstag zu beenden. Paulas Vortrag wollte er sich jedoch nicht entgehen lassen. Er sah sich um, ob er Sven finden konnte, dann hätte er sich gerne zu ihm gesetzt. Ansonsten waren keine Männer hier, aber die Bude war voll. Mütter schienen definitiv Interesse an der Homöopathie zu haben. Vielleicht weniger an der Methode an sich als daran, ihren Kinder helfen zu können, was ja auch verständlich war.
Er konnte Sven nicht entdecken. Annemarie saß vorne neben Paula, die aufgeregt in ihren Blättern kramte. Vorne waren einige Fläschchen mit Globuli aufgereiht. Ralf konnte die Namen nicht lesen. Er wusste nicht, was er von der Homöopathie halten sollte. Gleiches mit Gleichem behandeln oder austreiben, so viel hatte er verstanden. Aber wie die Substanzen wirken sollten, wenn eigentlich nichts mehr davon im eigentlichen Medikament nachweisbar war? Er wusste nicht, ob er diese Energiegeschichte glauben sollte. Na ja, vielleicht konnte Paula ihn überzeugen.
Da trat sie auch schon an das Mikrofon. Sie sah sehr seriös aus in ihrem Blazer und der Leinenhose. Das gleiche Outfit, das sie an dem Abend ihres Rückkehrfestes angehabt hatte. Wenn man sie nicht kannte, würde man vermutlich nicht merken, dass sie aufgeregt war.
„Guten Abend meine Damen, mein Herr.“ Aha, sie hat mich also wahrgenommen, dachte er während des Gelächters, das auf diese Begrüßung antwortete.
„Ich darf mich Ihnen vorstellen, falls wir uns noch nicht persönlich kennengelernt haben. Mein Name ist Paula Sommer. Ich lebe seit etwa einem Jahr in der Gegend. Ich fühle mich hier sehr wohl und ich freue mich darauf, wenn alles gut geht und die Götter im Gesundheitsamt mir gnädig sind, im nächsten Monat meine Praxis zu eröffnen. Von Haus aus bin ich Krankenschwester und stamme aus Frankfurt. Ich habe viel mit Kindern gearbeitet, auch wenn ich leider selbst keine habe.“ Ralf bemerkte die mitleidigen Blicke einiger Frauen.
„Nun, was, denken Sie, ist das Besondere an der Homöopathie?“
Oh, Paula war ja mutig. Wollte sie wirklich einen interaktiven Vortrag halten? Da kannte sie den Menschenschlag hier aber schlecht, da würde jetzt keiner was sagen.
„Sie heilt mit natürlichen Mitteln“, sagte eine Frau rechts vor ihm.
„Es gibt keine Nebenwirkungen“, rief eine andere so laut, als wenn der Saal Hunderte von Menschen fassen würde.
„Die Kügelchen sind nicht so teuer und lange haltbar“, ertönte eine dritte Stimme.
Paula nickte. „Vielen Dank, da ist überall etwas Wahres dran, aber es gibt auch Missverständnisse.“ Naturheilkunde ist nicht das Gleiche wie Homöopathie. Stellen Sie sich vor, sie kochen ihrem Kind einen Hustensaft aus Thymian, Zwiebeln und Rohrzucker – das Rezept liegt übrigens nachher beim Ausgang –, dann heilen Sie mit Mitteln der Natur. Die homöopathischen Substanzen sind auch alle natürlich, aber viele davon würde man nicht landläufig den heilenden Stoffen zuordnen. Einige davon sind sogar hochgiftig.“
Das hätte sie nicht sagen sollen. Besorgte Blicke der Mütter untereinander.
„Aber, insofern haben Sie recht, dass Nebenwirkungen zumindest sehr selten sind. Wenn man diese Substanzen in der richtigen Verdünnung einsetzt – die Homöopathen nennen das Potenz –, bekämpfen sie die Symptome, die sie im giftigen Zustand hervorrufen. Entdeckt hat das vor etwa zweihundert Jahren ein Arzt namens Samuel Hahnemann. Sie sehen, die Methode ist zumindest deutlich länger erprobt als viele Verordnungen der Schulmedizin.“
Ralf ließ sich hinwegtragen von Paulas freundlicher, aber fester Stimme, die einen kurzen Einblick in die Geschichte der Homöopathie gab. Er dachte daran, dass er erste Telefonate mit Behörden geführt hatte, die seinem Anliegen, seinen Hof so auszustatten, dass er ihn zeitweise für Kindergruppen öffnen konnte, nicht sehr positiv gegenüberstanden. Es hatte zwar nicht geheißen, es sei unmöglich, aber definitiv hatte auch niemand
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