Pauline Reage - Geschichte der O
selbst hätten fesseln sollen, sie ersticken, sie erwürgen, hatten sie im Gegenteil von sich selbst befreit.
Was wäre aus ihr geworden, wenn man ihr die Sprache gelassen hatte und die Bewegungsfreiheit ihrer Hände, wenn ihr eine Wahl geblieben wäre, während ihr Geliebter sie vor seinen Augen anderen preisgab?
Gewiß, sie sprach während der Folterungen, aber konnte man dieses Gemisch aus Klagen und Schreien noch Sprechen nennen?
Überdies brachte man sie oft zum Verstummen, indem man sie knebelte. Die Blicke, die Hände, die Körper, die sie besudelten, die Peitschen, die sie zerfleischten, versetzten sie in einen rauschhaften Zustand der Selbstvergessenheit, der wieder in die Liebe mündete, sie vielleicht sogar in die Nähe des Todes führte.
Sie war niemand und zugleich jedes der anderen Mädchen, die wie sie geöffnet und brutal genommen wurden, vor ihren Augen, denn sie sah dabei zu, wenn sie nicht sogar dabei helfen mußte.
An ihrem zweiten Tag, noch nicht vierundzwanzig Stunden nach ihrer Ankunft, wurde sie also nach dem Essen in die Bibliothek geführt, um sich dort um den Kaffee und das Feuer zu kümmern.
Sie wurde begleitet von Jeanne, die der schwarz behaarte Diener wieder zurückgebracht hatte, und von einem Mädchen namens Monique. Der gleiche Diener führte sie auch in die Bibliothek, wo er neben der Säule stehen blieb, an der O angebunden gewesen war.
Die Bibliothek war noch leer.
Die Fenstertüren gingen nach Westen und die Herbstsonne, die langsam über einen friedlichen, hohen Himmel zog, an dem kaum eine Wolke stand, erhellte auf einer Kommode einen riesigen Strauß schwefelgelber Chrysanthemen, die nach Erde und welkem Laub rochen.
»Hat Pierre Sie gestern gezeichnet?«, fragte der Diener.
O nickte.
»Dann müssen Sie es zeigen, raffen Sie bitte Ihren Rock.«
Er wartete, bis sie ihren Rock hinten hochgerollt hatte, wie es ihr am Vorabend von Jeanne gezeigt worden war, und bis Jeanne ihr geholfen hatte, ihn festzumachen. Dann sagte er, sie solle das Feuer anzünden. Inmitten der Kaskade aus grüner Seide und weißem Batist waren O’s Lenden bis zur Taille sichtbar, ihre Schenkel und die schlanken Beine.
Die fünf Striemen waren schwarz.
Das Holz lag schon auf dem Rost geschichtet, O brauchte nur ein Streichholz an das Stroh unter den Reisern zu halten, die sogleich Feuer fingen.
Die Zweige des Apfelbaums brannten zuerst, dann die Eichenscheite, aus denen hohe, prasselnde und helle Flammen schlugen, die im Sonnenlicht fast unsichtbar waren, aber stark dufteten.
Ein zweiter Diener trat ein und stellte auf die Konsole, von der die Lampe entfernt worden war, ein Tablett mit Tassen und Kaffee und ging wieder.
O ging zur Konsole, Monique blieb auf der einen, Jeanne auf der anderen Seite des Kamins stehen.
In diesem Augenblick traten zwei Männer ein, während der erste Diener hinausging. O glaubte an der Stimme einen der Männer zu erkennen, die am Vorabend mit Gewalt in sie eingedrungen waren, den Mann, der verlangt hatte, daß man O’s Lenden leichter zugänglich machen solle.
Sie musterte ihn verstohlen, während sie den Kaffee in die schwarzgoldenen Tässchen goß, die Monique zusammen mit dem Zucker herumreichte.
Es war also dieser schlanke, blonde Junge gewesen, der wie ein Engländer aussah. Er sprach wieder, und nun war sie sicher.
Auch der andere war blond, jedoch untersetzt, mit plumpen Zügen. Beide saßen in den großen Ledersesseln, die Beine am Feuer, rauchten ruhig und lasen ihre Zeitungen, sie nahmen von den Frauen so wenig Notiz, als wären sie nicht da.
Von Zeit zu Zeit hörte man Papier rascheln, Glut zerbröckeln.
Von Zeit zu Zeit legte O ein neues Scheit aufs Feuer. Sie saß auf einem Kissen am Boden, neben dem Holzkorb. Monique und Jeanne ihr gegenüber, ebenfalls am Boden. Ihre ausgebreiteten Röcke flossen ineinander. Moniques Kleid war dunkelrot.
Plötzlich, aber erst nach Ablauf einer Stunde, rief der blonde Junge Jeanne herbei, dann Monique.
Er befahl ihnen, den Hocker zu bringen (den gleichen, über den man am Vorabend O bäuchlings geworfen hatte).
Monique wartete nicht erst auf weitere Befehle, sie kniete nieder, beugte sich vornüber, daß ihre Brust sich gegen den Pelzbezug preßte, und hielt sich mit beiden Händen an den Ecken des Hockers fest. Als Jeanne auf Befehl des jungen Mannes Moniques roten Rock hochschlug, bewegte sie sich nicht.
Nun mußte Jeanne ihm, nach seinen Anweisungen, die er ihr in denkbar brutalen Ausdrücken
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