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Pauline Reage - Geschichte der O

Pauline Reage - Geschichte der O

Titel: Pauline Reage - Geschichte der O Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
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Geruch nach Schlamm und Erde, den Geruch, der in den ehemaligen Kerkern herrscht, in den alten Schlössern, in einem unbewohnten Bergfried.
    In diesem warmen Halbdunkel, in das kein Laut drang, hatte O bald jeden Sinn für Zeit verloren. Es gab weder Tag noch Nacht, das Licht ging nie ganz aus.
    Pierre oder ein anderer Diener stellten gleichgültig frisches Wasser, Obst und Brot auf das Tablett, wenn es leer war, und führten sie ins Bad in ein benachbartes Gelaß. Sie sah niemals die Männer, die hereinkamen, weil jedesmal erst ein Diener ihr die Augen verband und die Binde erst abnahm, wenn sie wieder allein war.
    Sie verlor auch das Gefühl dafür, wieviele es waren und weder ihre sanften Hände noch ihre Lippen, die blind ihre Zärtlichkeit erwiesen, konnten jemals erkennen, wen sie berührten. Manchmal waren es mehrere, meist nur einer allein, aber jedesmal mußte sie, eh jemand sich ihr näherte, mit dem Gesicht zur Mauer niederknien, man hakte den Ring ihres Halsbandes in die gleicheÖse, an der die Kette hing und peitschte sie aus. Sie stemmte die Handflächen gegen die Mauer und legte das Gesicht auf den Handrücken, um es sich nicht am Stein zu zerkratzen aber sie rieb sich Knie und Brüste daran wund.
    Sie konnte auch die Martern nicht mehr zählen und ihre Schreie, die das Gewölbe erstickte. Sie wartete.
    Plötzlich stand die Zeit nicht mehr still. in ihrer samtenen Nacht nahm sie wahr, daß ihr die Kette abgenommen wurde.
    Drei Monate lang, drei Tage lang hatte sie gewartet, oder zehn Tage oder zehn Jahre. Sie spürte, daß man sie in einen dicken Stoff hüllte, und daß jemand sie unter den Armen und den Kniekehlen faßte, hochhob und wegtrug. Sie fand sich in ihrer Zelle unter ihrer schwarzen Pelzdecke wieder, es war früher Nachmittag, ihre Augen waren offen, ihre Hände frei, und Rene saß neben ihr und streichelte ihr das Haar.
    »Du mußt dich anziehen, sagte er, wir gehen.«
    Sie nahm ein letztes Bad, er bürstete ihr das Haar, reichte ihr Puder und Lippenstift.
    Als sie in die Zelle zurückkam, lagen ihr Kostüm, die Bluse, das Unterkleid, ihre Strümpfe und Schuhe auf dem Fußende des Bettes, auch ihre Tasche und die Handschuhe. Sogar der Mantel war da, den sie über dem Kostüm trug, wenn es anfing, kälter zu werden, und ein Seidentuch, um den Hals zu schützen, aber weder Strumpfgürtel noch Slip.
    Sie rollte die Strümpfe bis zum Knie, zog sich langsam an, bis auf die Kostümjacke, denn es war sehr warm in der Zelle. In diesem Augenblick trat der Mann ein, der ihr am ersten Abend erklärt hatte, was man von ihr verlangen werde.
    Er nahm ihr das Halsband und die Armreifen ab, die sie zwei Wochen lang gefangen gehalten hatten.
    Fühlte sie sich jetzt befreit!
    Oder fehlte ihr etwas?
    Sie sagte nichts, wagte kaum, mit den Händen ihre Gelenke zu berühren, wagte nicht, an ihren Hals zu fassen.
    Der Mann hielt ihr nun eine kleine Holzkette mit lauter gleichen Ringen hin und bat sie, daraus einen Ring zu wählen, der an ihren linken Ringfinger paßte. Es waren sonderbare Eisenringe, innen mit Gold gerandet; der breite, schwere Reif, ähnlich der Fassung eines Siegelrings, aber hochgewölbt, trug in Nielloarbeit ein goldenes Rad mit drei Speichen, die spiralenförmig gebogen waren, wie beim Sonnenrad der Kelten.
    Der zweite Ring ließ sich mit ein wenig Mühe anstecken und paßte genau. Er war schwer an ihrer Hand, und das Gold glänzte wie aus einem Versteck hinter dem matten Grau des polierten Eisens.
    Warum das Eisen, warum das Gold, und das Zeichen, das sie nicht zu deuten wußte?
    Es war nicht möglich, in diesem rotbespannten Raum zu sprechen, wo noch die Kette an der Wand über dem Bett hing, wo die noch verknüllte schwarze Decke am Boden lag, wo der Diener Pierre hereinkommen konnte, hereinkommen würde, eine absurde Erscheinung in seinem Opernkostüm, im wattigen Novemberlicht.
    Sie irrte sich, Pierre kam nicht herein. Rene ließ sie die Jacke anziehen und die langen Handschuhe, die über die Ärmel reichten. Sie nahm ihren Schal, die Tasche, und hängte den Mantel über den Arm.
    Die Absätze ihrer Schuhe machen auf den Fliesen des Korridors weniger Geräusch, als die Pantöffelchen gemacht hatten, die Türen waren geschlossen, das Vorzimmer war leer.
    O hielt die Hand ihres Geliebten.
    Der Unbekannte, der sie geleitete, öffnete das Gitter des Allerheiligsten, wie Jeanne es genannt hatte und vor dem jetzt weder Diener noch Hunde wachten. Er hob eine der grünen Samtportieren und ließ

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