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Pauline Reage - Geschichte der O

Pauline Reage - Geschichte der O

Titel: Pauline Reage - Geschichte der O Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Administrator
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Kleider gebracht, bis auf Pelzjacke, Handschuhe und Tasche, die sie auf dem Sofa im Salon fand, als sie hinunterkam. Der Salon war leer, Gardinen und Jalousien waren geöffnet. Vom Sofa aus sah man in einen Garten, der eng und grün war wie ein Aquarium, nur mit Efeu, Stechpalmen und Spindelbäumen bepflanzt. Als sie ihren Pelz anzog, hatte die Mulattin ihr gesagt, daß Sir Stephen ausgegangen sei und hatte ihr einen Brief überreicht, dessen Umschlag nur eine Initiale aufwies, die ihre; das weiße Blatt trug zwei Zeilen: »Rene hat angerufen, er wird Sie um sechs Uhr im Atelier abholen« darunter als Unterschrift ein S, und ein Postskriptum. »Die Reitpeitsche ist für Ihren nächsten Besuch.«
    O blickte um sich: auf dem Tisch zwischen den beiden Sesseln, auf denen am Vorabend Sir Stephen und Rene gesessen hatte, lag neben einer Schale mit gelben Rosen eine sehr lange und schlanke lederne Reitpeitsche. Die Dienerin erwartete sie an der Tür. O steckte den Brief in ihre Handtasche und verließ das Haus.
    Rene hatte also Sir Stephen angerufen, nicht sie. Zu Hause zog sie sich aus und aß im Morgenrock zu Mittag, danach hatte sie noch Zeit, in Ruhe ihr Make-up und ihre Frisur zu erneuern und sich für das Atelier anzukleiden, wo sie um drei Uhr sein mußte: das Telephon klingelte nicht, Rene rief sie nicht an. Warum? Was hatte Sir Stephen ihm gesagt? Was hatten die beiden über sie gesprochen?
    O entsann sich der Worte, die sie zur Schilderung der Vorzüge ihres Körpers im Hinblick auf ihre eigenen physischen Neigungen verwendet hatten. Vielleicht war ihr im Englischen das einschlägige Vokabular ungewohnt, aber die einzigen französischen Ausdrücke, die ihr entsprechend schienen, waren von einer unerhörten Gemeinheit. Nun, sie war durch genauso viele Hände gegangen, wie die Damen in den Bordellen, warum sollte man sie anders behandeln? »Ich liebe dich, Rene, ich liebe dich, wiederholte sie, rief es leise in die Einsamkeit ihres Zimmers, ich liebe dich, mach mit mir, was du willst, aber verlaß mich nicht, mein Gott, verlaß mich nicht.«
    Wer hat Mitleid mit denen, die warten? Man erkennt sie so leicht: an ihrer Zärtlichkeit, an ihrem scheinbar aufmerksam starrenden Blick, - starrend, ja, aber auf etwas anderes als das, was sie vor Augen haben - an ihrer Geistesabwesenheit. Drei Stunden lang, während im Atelier ein kleiner rothaariger und molliger Mannequin, den O nicht kannte, für Hutmoden posierte, war ihr Geist abwesend, nach innen gekehrt, aufgesogen von der Ungeduld über die langsam dahinschleichenden Minuten, von der Angst.
    Zu Bluse und Unterrock aus roter Seide trug sie einen Schottenrock und eine kurze Wildlederjacke. Das Rot ihrer Bluse unter der offenen Jacke ließ ihr blasses Gesicht noch besser erscheinen und der kleine rothaarige Mannequin sagte, sie sehe wie das Unheil in Person aus. »Unheil für wen?« fragte O sich. Noch vor zwei Jahren, eh sie Rene kannte und liebte, hätte sie sich geschworen: »Unheil für Sir Stephen«, und gesagt, »er wird schon sehen.« Aber ihre Liebe zu Rene und Renes Liebe zu ihr hatten sie aller ihrer Waffen beraubt und ihr, anstatt ihr neue Beweise ihrer Macht zu liefern, auch noch die weggenommen, die sie bisher besessen hatte.
    Früher war sie gleichgültig und leichtherzig gewesen, hatte sich ein Vergnügen daraus gemacht, mit einem Wort oder einer Geste in Versuchung zu führen, ohne ihnen jedoch etwas zu gewähren, hatte sich ihnen dann vielleicht einmal, zweimal, aus einer plötzlichen Laune heraus doch hingegeben, zur Belohnung, aber auch, um sie noch mehr zu entflammen, eine Leidenschaft noch grausamer zu machen, die sie nicht teilte. Sie wußte genau, daß diese Männer sie liebten. Einer hatte versucht, sich das Leben zu nehmen; als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war sie zu ihm gegangen, hatte sich nackt ausgezogen, ihm verboten, sie zu berühren, und sich auf seinem Sofa ausgestreckt.
    Leichenblaß vor Verlangen und Schmerz hatte er sie zwei Stunden lang schweigend angestarrt, sein Versprechen hatte ihn versteinert. Sie hatte ihn nie wiedersehen wollen. Nicht, daß sie das Verlangen, das sie weckte, unterschätzt hätte. Sie verstand es um so besser, oder glaubte, es zu verstehen, als sie selbst ein (wie sie meinte ), gleiches Verlangen nach ihren Freundinnen oder nach unbekannten jungen Frauen empfand. Manche gaben ihr nach - sie führte sie dann in allzu diskrete Hotels mit engen Korridoren und Wänden, die jedes Geräusch durchließen -

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