Paxson, Diana L.
Reliquienkästchen aufbewahrte und verehrte, führte beinahe zu einem Lachanfall. Doch als Esseilte mich nach dem Grund meiner Erheiterung fragte, konnte ich nur den Kopf schütteln. Sie war jetzt nicht in der Stimmung, den Humor darin zu sehen.
Ich holte tief Luft und folgte ihr an den Ständen der Handwerker vorbei, die sich hier aus vielen Ländern eingefunden hatten. Wir nannten sie jedoch allesamt Griechen, eine Gewohnheit aus der Zeit, da die Welt noch jung war und nur die Männer jenes Landes den weiten Weg zu unserer Küste gewagt hatten. Ohne einen Blick darauf marschierte Esseilte an den Ständen vorbei, die herrliche, schimmernde Seide anboten oder Halsketten aus nordischem Bernstein, der in der Sonne aus sich heraus glühte. Da wußte ich, wie sehr sie darauf versessen war, das Rennen zu sehen. Noch nie zuvor waren wir durch den Markt gegangen, ohne da und dort stehenzubleiben und Halsketten oder Armbänder anzuprobieren, während Esseilte die Kleinodien beschrieb, die sie eines Tages besitzen würde, wenn sie erst jemandes Königin war.
Die Plätze für die Edelfrauen waren mit einer Wand abgetrennt und mit einem Dach aus geflochtenen Weidengerten geschirmt. So boten sie nicht nur Abgeschiedenheit, sondern auch einigermaßen Schutz vor der Witterung. Diese Abteilung war schon fast überfüllt von Damen in Gewandung aller möglichen Zusammenstellungen und Farben. Sie trugen ihre besten Kleinodien und gackerten wie Hennen im Hühnerhof. Der Kurzstreckenlauf der Knaben hinunter zum Fluß war bereits beendet. Gold blitzte, als die Damen ihre Wetten abschlossen und einander mit falschem Lächeln bedachten.
Nun schmetterten die Hörner. Die Männer kamen zum Speerwerfen herbei, gefolgt von ihren Knappen mit den Waffen. Sklaven zerrten die mannsgroßen Strohpuppen ans Ziel und brachten sich rasch in Sicherheit. Eine Strohpuppe kippte um, und der arme Bursche rannte mit verängstigter Miene zurück, um sie wieder aufzustellen. Ich lachte, denn während des Festes galt sogar das Leben eines Sklaven als unantastbar.
Die ersten Teilnehmer stellten sich auf ihre Plätze und warfen. Drei Speere fanden ihr Ziel, einer verfehlte es und glitt zum spöttischen Gelächter der Zuschauer durchs Gras. Wo das einfache Volk sich Plätze gesucht hatte, waren dem grünen Hang des Berges Temair Umhänge entsprossen wie Blumen zur falschen Jahreszeit. Die Leute dort würden bestimmt keine schlechtere Sicht haben als wir hier, dachte ich und bahnte mir auf der Suche nach Esseilte einen Weg zwischen zwei streitenden Frauen hindurch.
Die nächste Gruppe Speerwerfer nahmen ihre Plätze ein, in einer Haltung wie Cuchulain und Ferdiad an der Furt. Zwar war hier keine Königin Medbh, um sie anzuspornen, und keine Prinzessin Finnabair, die den Sieger belohnen würde, doch das Ansehen, das ein Sieger der Wettkämpfe gewann, und ein Ring aus purem Gold waren Belohnung genug. Und es war deutlich zu erkennen, daß die Prahlereien der Speerwerfer nicht als Beleidigung gegenüber den anderen Teilnehmern gedacht waren.
Außer jenen, die Angehörige unter den Teilnehmern hatten, interessierten sich die Frauen kaum für die Wettkämpfe. Im Laufe des Festes würde es noch viele geben: Bogenschießen im Sattel, Wagenrennen, und Wettläufe für die verschiedensten Altersgruppen. Doch nur einem einzigen Rennen zollten alle ihre Aufmerksamkeit – dem Langstreckenrennen, in dem Brüder und Söhne jeder königlichen Familie von Erin ihre Pferde und Männer erprobten. Bis das vorüber war, mußten Gesetzgebung und Rechtsprechung warten, die der andere Zweck der Samhainzusammenkunft waren.
Die Abteilung des Königs auf der anderen Seite der Rennstrecke war so überfüllt wie unsere, nur ging es da geordneter zu. Die Harfner des Königs saßen zu einer Seite, mit ihren himmelblauen Umhängen sorgsam über den weißen Gewändern drapiert. Die übrigen Könige, die zum Fest gekommen waren, prunkten auf der anderen Seite, doch zur Rechten des Königs durfte Amergin MacAlam, der Erzpoet sitzen, der in Weiß wie ein Druide gewandet war. Diarmait hatte sich halb abgewandt und sprach mit dem Ordner, der für das Rennen zuständig war. Seine weißen Finger glätteten die beiden Spitzen seines roten Bartes, dann zogen sie sie zusammen und wieder auseinander. Die große goldene Ringbrosche war sächsischer Anfertigung – verschlungene Drachen aus Gold, die glitzerten, wenn die Sonne auf sie fiel –, und die purpurne Seide seines Umhangs war kunstvoll
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