Paxson, Diana L.
einen letzten Akkord, und er öffnete die Augen. Sie waren tiefblau, von den Schmerzen zweifellos dunkler als normal – vom gleichen tiefen Blau wie das Meer. Wie verzaubert starrte ihn Esseilte an.
»Welche Küste ist dies? Welchen Landes?« erklang ein rauhes Wispern in erkennbarem Irisch.
»Inber Colphta, im Lande Erin«, antwortete ich, als ich erkannte, daß Esseilte offensichtlich nicht fähig war, auch nur einen Ton herauszukriegen.
Ein Hauch von Lächeln huschte über seine Lippen, doch rasch verdrängt von Schmerzen. Mühsam holte er Luft, und als er sie ausatmete, kamen Worte:
»Ich bin ein Wind auf dem Meer… Ich bin eine Welle des Ozeans… Ich bin ein Tosen der See… Ich bin…« Im Flüstern schwand seine Stimme.
»Ihr werdet bald gar nichts mehr sein, wenn Ihr Euch nicht still verhaltet!« endete ich für ihn mit einem Lachen, das sich irgendwie in der Mitte drehte und als Schluchzen herauskam. Was er da aufgesagt hatte, waren die ersten Zeilen des Liedes, das Amergin gedichtet hatte, als er Fuß auf diese Küste gesetzt hatte.
»Ist er tot?« wisperte Esseilte erschrocken und ließ den Rand des Curraghs los. Der Mann starrte uns stumm an, und seine Augen schienen noch dunkler zu werden in dem geröteten Gesicht.
»Noch nicht…« Wellen wirbelten um uns und es fiel mir nicht leicht, das Boot festzuhalten. Als die Neugierigen am Ufer sahen, daß wir weder vom Blitz getroffen noch verwandelt worden waren, wagten sich die ersten ebenfalls ins Wasser. Ich schrie ihnen zu, uns zu helfen, und diesmal hörten sie darauf. Alsbald war der Curragh aus dem Wasser gezogen und der halb bewußtlose Harfner auf den Sand gelegt.
»Aber er könnte es bald sein, wenn wir ihm nicht helfen.« Ich legte kurz die Hand auf die bleiche Stirn. »Er hat hohes Fieber!«
»Wundfieber!« Esseilte hatte sich wieder gefaßt. »Schau, er hat eine klaffende Wunde an der Hüfte, und sie schwärt!«
»Gibt es einen Heiler in eurem Ort?« fragte ich die Umstehenden ohne große Hoffnung. Ich hörte Murmeln von verschiedenen Seiten die Geschicklichkeit einer Einheimischen loben, aber es klang nicht sehr vielversprechend.
»Wir müssen ihn zu meiner Mutter bringen!« sagte Esseilte mit einer Entschiedenheit, wie ich sie seit dem Tod des Morholts nicht mehr an ihr bemerkt hatte.
Der Harfner strengte sich an, etwas zu sagen. Ich tätschelte beruhigend seine Schulter.
»Habt keine Angst. Ihre Mutter ist die Königin, die kundigste Kräuterfrau und Heilerin von Erin.«
Die Augen des Harfners weiteten sich, und einen Moment bemerkte ich jene schwache Mischung aus Staunen und Spott über sich selbst, die mir schon einmal in seinem schmerzgepeinigten Gesicht aufgefallen war. Dann, als hätte ihn der letzte Rest Kraft verlassen, verlor er das Bewußtsein völlig.
Der Heilsang
»Die Wunde ist, wie ihr hier sehen könnt, brandig geworden. Das ist nicht ungewöhnlich, wenn eine Verletzung nicht sofort behandelt wird. In einem solchen Fall muß die Heilerin zweierlei tun«, erklärte die Königin. »Nämlich erstens das Gift bekämpfen, das die Wunde in den Körper ausscheidet, und zweitens die Wunde säubern, damit die natürliche Heilung einsetzen kann.«
Sie sprach, als wäre es nichts weiter als eine Unterrichtsstunde in ihrem Kräuterhaus, doch ich wußte, auch ohne daß ich sie mir ansah, daß des Harfners Verletzung lebensbedrohlich brandig war. Der Gestank, der davon ausging, war in der kleinen Kammer fast betäubend. Ich ging unauffällig zur Tür und atmete rasch die kalte, frische Luft ein, die um die ledernen Angeln hereinkam.
Starker Frost hatte nach unserer Rückkehr von Inber Colphta eingesetzt, als wäre der Hauch von Frühling nur ein Zauber gewesen, um uns zu der Bucht zu locken, damit wir den Harfner finden würden. Doch wenn er ein Zauberer war, war er am Ende seiner Magie angelangt.
Wir hatten uns gegen die Kälte in Schultertücher gehüllt, der Fremde jedoch brannte in seinem eigenen, langsamen Feuer. Unwillkürlich erinnerte ich mich an jenes wiederkehrende Fieber, das man die Gelbe Pest genannt und das in meiner Kindheit in Erin gewütet hatte. Nicht einmal Mairenns Magie war imstande gewesen, ihren älteren Sohn zu retten, und ich hatte gehört, daß in einigen Landesteilen die Bewohner ganzer Ortschaften dahingerafft worden waren.
Es lag nicht nur an dem schwachen Licht, das durch das geölte Pergament in den Fenstern drang, daß Esseilte fahl aussah, doch sie rührte sich nicht. Ihr Gesichtsausdruck
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