Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Paxson, Diana L.

Titel: Paxson, Diana L. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Zauber von Erin
Vom Netzwerk:
Boinnemündung, und am folgenden Tag begaben wir uns zu dem Anlegeplatz, um zu sehen, welche Herrlichkeiten die Kaufleute aus weiter Ferne mitgebracht hatten.
    Wir sollten es nie erfahren. Bestimmt die halbe Besatzung der Kauffahrer und der Großteil der hiesigen Bürger standen an der Küste, redeten aufgeregt aufeinander ein und deuteten in die Bucht hinaus. Wo der weiße Sand in Bänken dem Strand entgegenstrebte, war das Wasser von blassem Grünblau mit dunklen Flecken, wo Seetang wucherte. Doch seewärts vertiefte sich der Ton des Wassers zu einem kräftigen Blau, mit weißen Schaumrändern, und man konnte meinen, es habe dem bleichen Himmel alle Farbe entzogen. Wie ein Floß, und aus der Entfernung ebenso klein, schaukelte etwas auf dem bewegten Wasser: ein brauner Curragh, der von der Flut langsam landwärts getragen wurde.
    Esseilte war wie gebannt davon angezogen, während ich gerade eine alte Frau fragen wollte, was so erstaunlich an einem dahintreibenden Boot sei. Doch die Alte drückte Schweigen heischend einen Finger auf die Lippen und hielt eine Hand ans Ohr. Vielleicht war sie taub und hatte mich nicht verstanden, trotzdem schwieg ich und versuchte zu begreifen. Heringsmöwen und Lachmöwen kreisten und tauchten und kreischten aufgeregt. In dem Augenblick, als ich Esseilte gereizt wegziehen wollte, vernahm ich noch etwas anderes: Musik, so fein und zart, als trage sie der Wind von Tír na nÓg über das Meer.
    Esseilte umklammerte meinen Arm. »Es ist Harfenmusik…«, sagte sie leise. »Von einer Zauberharfe, die das Meer der Küste als Opfergabe darbietet!«
    Sanft wie die Brise, die sie zu uns brachte, kam diese Musik, wurde lauter, verstummte und schwoll aufs neue an. Ein- oder zweimal vermeinte ich auch eine Stimme zu hören, doch ich hätte nicht zu sagen vermocht, ob sie einem sterblichen Sänger gehörte oder einem von Fands Volk, wie die Fischer nun raunten. Einige bekreuzigten sich, und eine Frau schickte ihren Jungen nach dem Priester in der kleinen, runden Kapelle auf der Landzunge.
    Esseilte ging vorwärts durch die Menge, und da sie meinen Arm nicht losließ, wurde ich mitgezerrt. Der Curragh kam immer näher. Der Fellüberzug war da und dort geflickt – er war wahrhaftig nichts Besonderes, doch die Musik erklang zweifellos aus dem Boot.
    Vielleicht hatte Esseilte recht, denn wenn sich ein Sterblicher in dem Curragh befand, weshalb zupfte er sein Instrument dann im Liegen? Überhaupt, weshalb würde irgend jemand Harfe spielen, während die Flut sein winziges Boot an Land trieb? Ich dachte nicht, daß es etwas wäre, was der Austreibung bedurfte, aber wundersam fand ich es wahrlich; so widersetzte ich mich nicht, als Esseilte wie verzaubert weiterrannte, bis die kalten Wellen den Strand hochspülten, unsere Schuhe tränkten und die Rocksäume benetzten.
    Die Kälte des Wassers brachte uns beide wieder zur Vernunft. Ich glaubte die Melodie aus dem Boot zu erkennen, doch da endete sie, und eine kurze Weile folgten Noten aufs Geratewohl, als hätte der Harfner vergessen, was er gespielt hatte. Mehrmals brach er ab, und jedesmal, wenn er weitermachte, klang sein Klimpern schwächer, obwohl jede Welle das Boot näher an den Strand brachte.
    Die Stimme des Sängers hob sich, wurde rauh und verklang wispernd. Die Worte dieses Liedes waren in keiner mir bekannten Sprache, doch die Stimme war die eines Mannes, und Schmerz klang aus ihr.
    »Wenn er von Tír na nÓg ist, haben sie ihn verstoßen!« sagte ich laut, denn ich verstand plötzlich die Bedeutung des Vernommenen. »In diesem Boot liegt ein sterblicher Harfner, Esseilte – und ich fürchte, daß er seine Sterblichkeit nur allzu rasch beweisen könnte, wenn wir ihn nicht schnell an Land bringen!«
    Esseilte starrte mich einen Augenblick an, und dann, ehe ich sie zurückhalten konnte, watete sie hinaus ins Wasser. Ich schrie den Leuten hinter uns zu, uns zu helfen – und daß der Sänger ein Mensch war –, dann planschte ich hinter ihr her.
    Das Wasser war seicht und der Curragh bereits sehr nahe, trotzdem reichte es Esseilte und mir bis über die Hüften, als wir endlich die Hände um den runden Rand legen konnten. Ein Mann in der Kleidung eines fahrenden Barden lag zusammengekauert in ihm, und seine Finger zupften wie aus eigenem Antrieb an den Saiten der kleinen Harfe, die neben seiner Brust lag, obwohl die Haut fast fleischlos über die Knochen seines Schädels gespannt war.
    Als wir das Boot festhielten, zupften die Finger des Mannes

Weitere Kostenlose Bücher