Paxson, Diana L.
bekommen, was ich mir zurückgeholt habe!«
Ich schauderte, denn weder Christus noch die alten Götter duldeten, daß Menschen solcherart sprachen. Der Fremde spielte keine Rolle – er diente ihr lediglich zur Erprobung ihres Willens. Bis der Morholt starb, hatte Esseilte nie etwas verloren, an dem ihr Herz hing, und nun forderte sie die himmlischen Mächte mit der Hemmungslosigkeit eines Kindes heraus, das noch an die Gunst des Zufalls glaubt. Ich sah, daß alles vergebliche Liebesmüh sein würde, und nahm es als Lauf der Dinge hin, denn ich hatte nie jemanden gehabt, den ich hätte verlieren können.
Außer Esseilte…
Ich blickte sie an, und mein Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Rasch stand ich auf und ging zur Tür. Ich glaube nicht, daß Esseilte es überhaupt bemerkte.
Als ich zurückkehrte, dämpfte das bleiche Licht des Morgengrauens den Lampenschein. Ich trat an der Tür zur Seite, und Königin Mairenn, in rabenschwarzem Umhang, stürmte an mir vorbei, als käme sie, sich des Harfners Seele zu holen. Die Flamme flackerte heftig im Luftzug, und Esseilte sprang auf.
»Ich sagte euch, daß ihr allein damit fertig werden müßt!« rief die Königin erzürnt.
»Ich habe dich nicht gerufen…«, entgegnete Esseilte.
Mairenn blickte von ihrer Tochter auf mich, und ich zwang mich, unter ihrem harten Blick nicht zusammenzuzucken.
»Liebst du sie so sehr?« fragte sie da fast sanft, »oder hast du nur Angst?«
Ich schluckte und blickte sie in stummer Bitte an.
»Nun gut«, sagte die Königin. »Ich tue, worum du mich gebeten hast. Doch dafür mußt du mir schwören, daß du tun wirst, was ich von dir verlangen werde…«
»Ich schwöre es bei meinem Leben…«, wisperte ich.
Der Wind, der durch die offene Tür hinter mir kam, war wie der Odem des Grabes.
»Wahrhaftig…« Mairenn lächelte. »Dann fang damit an, daß du die Türe schließt!«
Der Harfner lag nun ganz still, und sein schwerer Atem klang in der Stille dieser frühen Morgenstunde qualvoll laut. Als ich der Königin den Umhang abnahm, sah ich, daß sie eine Schatulle aus altersdunklem Holz trug. Sie beugte sich über den Kranken, berührte seine Stirn und das Handgelenk, dann richtete sie sich auf und wandte sich an Esseilte.
»Du bist meine Tochter, das letzte weibliche Glied meines Geschlechts. Dieses Wissen ist dein Erbe. Die Krankheit des Harfners wird seine Kraft beweisen. Hör gut zu, und erinnere dich an das, was du sehen wirst!«
Esseiltes Augen weiteten sich, und so müde sie auch war, straffte der Stolz doch ihren Rücken.
»Nehmt den Verband ab!«
Wir taten es und säuberten die tiefe Wunde aufs neue. So sehr waren wir inzwischen an den Gestank gewöhnt, daß wir nicht mehr zurückzuckten. Die Königin setzte sich auf den dreibeinigen Hocker neben dem Bett und öffnete die Schatulle. Ich sah eine Silberschale darin und mehrere Pergamentbriefchen. Eines davon öffnete sie und hauchte auf das graue Pulver, das es enthielt.
Ein Quentchen für dein Alter,
ein Quentchen für deine Jugend,
ein Quentchen für deine Vergangenheit,
ein Quentchen für deine Zukunft…
Während sie sprach, streute sie jeweils ein wenig Pulver in die Schale.
Die Anteile der geheimen Drei,
dich zu bewahren vor jedwedem Neid,
bösem Blick und Tod,
vor aller Magie und Zauberei: Der Anteil des Herrn des Lebens,
der Anteil des Herrn der Macht,
der Anteil des Herrn allen guten Heilens…
Sie fuhr mit der Hand über die Schale, und die Pulverkörnchen wirbelten mit der Sonne, als hätte sie sie berührt. Dann spuckte sie dreimal in das Gefäß und machte sich daran, die Mischung mit dem Zeigefinger umzurühren. Dabei flüsterte sie:
Heilige Saat der Eiche, gemahlen bei Neumond unter dem heiligen Stein –
Die Macht ist in dir, in dir ist die Macht, in der feuchten Dunkelheit
wuchs auf dir der magische Schimmel. Macht der Eiche, meinem Willen gehorsam,
durch dein Auflegen sei heil das Fleisch und heil das Bein und heil das Blut…
Das Licht kam silbrig durch den Morgendunst, als hätten wir bereits die Kreise der Welt überschritten. Das Keuchen des Mannes auf dem Bett war das einzige Geräusch in der Kammer. Die Luft hier war reglos und klamm, sie drückte gegen meine Haut, und ich wußte, daß der Tod sich mit uns in diesem Raum aufhielt.
Was machen wir da? fragte ich mich. Ist es erlaubt, sterbliche Hände auf einen Geist zu legen, der bereits auf dem Weg zur Anderswelt steht, um ihn zurückzubringen?
Die Priester hätten Mairenns Zauberei über
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