Payback
Anderson hellsichtig feststellt, nichts weniger als das Ende der Theorie, auch das Ende von Modellen. »Wer weiß, warum Menschen tun, was sie tun?«, fragt er. »Der Punkt ist: sie tun es, und wir können, was sie tun, mit nie da gewesener Präzision verfolgen. Wenn wir genug Daten haben, sprechen die Daten für sich selbst«. 89
Konsequent hat Google-Chefentwickler Peter Norvig verkündet: »Alle Modelle sind falsch, und wir werden bald ohne sie auskommen können.« 90 Anderson begrüßt ein Denken, das nicht mehr nach Ursachen, sondern nach Korrelationen fragt. Doch er ignoriert, dass die Vernetzung der Daten auf mathematischen Gesetzen beruht, die die Dynamik einer selbsterfüllenden Prophezeiung annehmen können. Es existiert nur noch das, was sich »computen« lässt. Es existiert nur noch, was digitale Informationen liefert. Was nicht ins Innere des Rechnerhirns wandert, gibt es nicht und schließt sich aus der Gesellschaft aus.
Nicht ohne tiefe Faszination, aber auch mit ziemlichem Erschrecken muss man erkennen, wie dieser Prozess sich seit 2008 noch ein weiteres Mal revolutioniert hat. Damals gründeten etliche amerikanische Universitäten, IBM und Google »Cluster Exploratory«, eine Art paralleles wissenschaftliches Internet, das geniale Google-Technologie mit den Daten der Hochschulen und der Hardware von IBM vereinte: 1600 Prozessoren, viele Terrabyte an Speicher und ein besonderes Google-Verfahren, das den Zugriff auf Datenbanken revolutioniert, werden neue Zusammenhänge herstellen, zum Beispiel durch den Vergleich riesiger Mengen an Röntgenfotos, den Ausbruch von Epidemien, Ernteschäden - aber das ist nur die praktische Seite. Die ersten Projekte werden Hirnsimulationen sein und neurobiologische Berechnungen zwischen »wetware«, dem Menschen, und der »software«, dem Computer. 91 Niemand kann voraussehen, welche Erkenntnismuster diese Kalkulationen im Bereich der Sozial- und Politikwissenschaften, der Literatur, der Psychologie hervorbingen werden. Doch die Zeichen sind eindeutig: Es entsteht der »eine Computer«, und selbst der sonst so bedächtige George Dyson, der die Erfolge und die schalen Angebereien des Computerzeitalters durchschaut hat wie kein anderer, spricht in Anlehnung an Nietzsches Begriff vom Übermenschen vom »Über-Geist« (»overmind«) und notiert: »Es könnte sein, dass es das eigentliche Schicksal unserer Spezies ist, dass wir eine Intelligenz aufbauen, die sehr erfolgreich ist, egal ob wir sie verstehen oder nicht.« 92
REZEPTE FÜR DAS ZERLEGEN UND ZUBEREITEN VON MENSCHEN
ir werden vielleicht nicht Mr. Spock, aber wir werden von ihm gelesen. Was liegt da näher als anzunehmen, dass die Art und Weise, wie der Computer für uns denkt, unserem Ich selbst entspricht?
Die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der die Technologie sich entwickelt hat, führt zu einer der grundsätzlichsten Fragen überhaupt. Zu der Frage, wer man selbst überhaupt (noch) ist.
Die Tatsache, dass man sich immer häufiger als digitale Nachbildung im Netz begegnet, verändert das Selbstbild. Und hier ist nicht die Rede von gepiercten Avataren, also Spielfiguren, die man in »Second Life« animieren kann, und auch nicht von jenen Fabelwesen, deren Gestalt man in »World of Warcraft« annimmt.
Nein: Unsere digitalen Doppelgänger sind unsichtbar, sie speisen sich aus den Informationen, mit denen wir unsere Computer gefüttert haben, sie hausen in den Tiefen der Codes und melden sich, oft ohne dass wir es bemerken, wenn wir mit den Computern zu kommunizieren beginnen.
Da sie auf statistischer Analyse beruhen, können Computer sehr gut Gruppen analysieren, tun sich aber schwer bei dem Individuum. Problematisch wird es in dem Augenblick, wo der potenzielle Arbeitgeber, die Krankenversicherung oder man selbst tatsächlich glaubt, man sei der, der in den statistischen Daten abgebildet wird.
Denn was theoretisch für alle gilt , gilt eben, wie jeder weiß, der Wahlprognosen kennt, noch lange nicht für einen selbst. Das Beste, was diese Codes oder »intelligenten Agenten« leisten können, ist, uns die Vision eines Lebens zu geben, das von »jemandem-wie-ich-es-bin« gelebt wird. Es ist eine Annäherung an den Menschen, der wir nach mathematischer Wahrscheinlichkeit sein könnten - ein Verfahren, das in den Personalbüros der Welt, in den Krankenkassen und bei den Lebensversicherern längst gang und gäbe ist.
Diese Codes suggerieren, je länger man mit ihnen zu tun hat und je zuverlässiger sie zu
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