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verwandelt.
Was das Ganze bringt? Zunächst Profit. Nehmen wir ein reales Beispiel: Der anonyme Käufer auf einer Einkaufsplattform schaut sich ein Parfum an - und erhält plötzlich die Empfehlung, doch einen Bademantel für Herren zu kaufen.
Warum? Weil die Software weiß, dass zu bestimmten Zeiten an bestimmten Tagen der Woche Frauen für Männer einkaufen, und dass Frauen, die mittwochs Parfum einkaufen, offenbar eine besonders hohe Neigung haben, auch etwas für ihre Männer einzukaufen. 83 Was wiederum die Chancen für den Bademantelabsatz steigert.
Das ist ein harmloses Beispiel aus der Welt des Shoppings. Es ist eine Prognose, die sich erfüllt oder nicht erfüllt. Sehr viel weniger harmlos ist es, wenn die intelligenten Agenten in anderen Bereichen ihre unsichtbaren Dienste leisten. Ein Beispiel für die katastrophale Wirkung, die sie haben können, zeigte sich, als nicht nur, aber auch unter ihrem Einfluss 2008 eine der größten Finanzkatastrophen seit dem Zweiten Weltkrieg an der »Wall Street« ausgelöst wurde.
Wie gesagt, natürlich irrt sich diese prognostische Software noch, aber sie wird immer besser. Und im Übrigen - gesetzt den Fall, man wolle den vom Online-Anbieter empfohlenen Bademantel wirklich kaufen, nachdem der Computer es uns vorgeschlagen hat (und das nur, weil Mittwoch ist und obwohl der Mann bereits drei ungetragene im Schrank hängen hat): Was bedeutet es eigentlich für unsere künftige Einschätzung der eigenen Willensfreiheit, wenn wir erkennen müssen, dass der Computer vor uns gewusst hat, was wir wollen werden?
Was, wenn es irgendwann nicht mehr um Bademäntel, sondern um politische Entscheidungen oder das eigene Leben geht?
Was, wenn - wie wir in den folgenden Kapiteln sehen werden - mit jenem »Parfum« noch eine ganz andere Witterung verbunden ist? Was, wenn über die besagten »intelligenten Agenten« Ihre Facebook-Lebensgeschichte mit Ihrem Arbeitsplatz, Ihren Lesegewohnheiten, Ihren Freunden, Ihrer Wohnung auf Google-Earth, der Krankengeschichte und den Zeitparametern verglichen wird, die Sie im Netz verbringen?
Die Mehrheit würde jetzt wohl antworten: Dann haben wir das, vor dem George Orwell uns schon vor 60 Jahren gewarnt hat. Eine von einer kalten Macht überwachte, durchkalkulierte und gesteuerte Gesellschaft. Oder auch den, wie man ihn Jahre später taufte, »gläsernen Menschen«.
Allein: Es geht hier nicht um Überwachung. Sie ist ein ernstes Problem, wenn Staaten die modernen Kommunikationsmittel unter ihre Kontrolle bringen, und es ist legitim und dringend geboten, beispielsweise bei der Debatte um Netzsperren die Motivation des Staates infrage zu stellen. Aber wie der ehemalige Wired-Chefredakteur Kevin Kelly zu Recht sagte: Die Chancen, sich von modernen Technologien leiten und beraten zu lassen, hängen vom Willen ab, sich selbst transparent zu machen. Überwachung ist nicht nötig, wenn Menschen beschlossen haben, ihre Fotos ins Netz zu stellen, ihre Hobbys und Abneigungen der Welt mitzuteilen, die Wände ihrer Intimsphäre wegzusprengen, kurz: ihr Herz und ihre Seele ins Netz zu schütten. Denn Menschen, die sich dauerhaft und freiwillig so offenbaren, Menschen, die ständig ihre Scheiben putzen oder vielmehr - gleich die Fenster öffnen, damit man ihnen noch problemloser ins Wohnzimmer gucken kann: Solche Menschen kann man gar nicht überwachen. Dann gibt es auch keine anonyme Macht mehr, die sie ausbeutet. Sie selbst sind diese Macht. Sie beuten sich selbst aus.
Die Software derweil modelliert Drehbücher für uns Menschen, die zu einer völlig neuen Bewertung von Zufall und Notwendigkeit führen werden. Auf der Ebene der Freundschafts- und Partnersuche findet vielleicht nur die Übertragung von Suchalgorithmen statt, die es auch im wirklichen Leben bei Heiratsvermittlungen und Ähnlichem gab. Das virale Marketing und seine Konsumangebote sind die Fortsetzung der Werbung mit anderen Mitteln. Doch wenn ein Algorithmus damit beginnt, Hunderte von Variablen auszuwerten, Interpunktion, Wortkombinationen, Smileys, Signale und diese mit unzähligen anderen Daten verbindet, legt sich ein Netz der Vorausberechnung, des Determinismus über die Handlungen der Menschen.
Der eigentliche Rädelsführer dieser Entwicklung ist übrigens nicht der Laptop oder das heutige Internet, sondern unser Handy. Die Netzbetreiber verfügen potenziell über eine unvorstellbare Anzahl unserer persönlichen Daten von Gesprächen, Fotos, SMS-Nachrichten, Internet-Zugriffen
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