Payback
arbeiten scheinen, eine totale Sicherheit, auch im Urteil über Menschen und im Urteil des Menschen über sich selbst. Die Personalabteilung von IBM ist dabei, eine Bewertung der Fähigkeiten seiner 300 000 Mitarbeiter durchzuführen. Arbeitnehmer werden, wie Stephen Baker es formuliert, »in kleine Stücke zerlegt«, das, was sie mit anderen gemein haben, wird ebenso erfasst wie ihre besonderen Charakteristika, dazu zählen ihre Kreativität und Dynamik, wie sie beispielsweise aus E-Mails ablesbar sind - nur ob sie unrasiert sind, ist in den Daten, die Baker zu Gesicht bekam, nicht verzeichnet.
Aber die Datenerfassung ist nur das eine. Das Entscheidende passiert, wenn diese Profile mit dem Datenmaterial von unzähligen anderen in Verbindung gebracht werden. Dann zeigen sich Logiken, Übereinstimmungen, Abweichungen und Tendenzen. Wenn ein heute fünfzigjähriger Arbeitnehmer unter Burnout leidet, aber mit 25 Jahren die gleichen persönlichen und sozialen Charakteristika eines 25-Jährigen von heute aufwies - was sagt das wohl über die Zukunft dieses 25-Jährigen? Hier wiederholt sich im Kleinen, was im Großen mit uns allen in den Netzwerken geschieht: die Verknüpfung und Berechnung individuellen Verhaltens mit dem Verhalten aller. Zwar taucht im Internet kein Chef auf, der uns eine Analyse oder eine Prognose stellt, aber wir selbst begegnen uns zunehmend als mathematisch berechnete Einheiten.
Es ist bezeichnend, dass in dem großen Menschen-Erfassungswerk der Personaldatenbanken von IBM nicht nur Software-Entwickler, sondern auch Psychologen, Anthropologen und Linguisten arbeiten.
Die Anthropologen sind laut Stephen Baker entsetzt von diesen Codes, weil sie glauben, dass sie menschliches Verhalten zu sehr vereinfachen. Denn die mathematischen Modelle verstärken den Glauben daran, dass Menschen berechenbar denken und handeln; wir tun es aber - glücklicherweise - nicht. Algorithmen unterstellen, dass jedes menschliche Verhalten durch Rezepte zu erklären ist. Doch wenn Menschen unvollständige oder widersprüchliche Informationen haben, wenn sie nicht wissen sollen, was tun oder wofür sich entscheiden, verlassen sie sich nicht auf Algorithmen, sondern auf Faustregeln und Intuitionen.
Wir gehen nicht unter, wenn wir die Faustregeln für mathematische Formeln nicht mehr kennen oder die Tricks, mit denen man Abkürzungen in der Stadt erkundet. Aber wenn wir die Faustregeln für uns selbst verlieren, verlieren Menschen das Gefühl dafür, wer sie sind. Nicht vollständige Information hilft, sondern das Bewusstsein, dass jede Information, die wir über Menschen bekommen, über uns selbst wie über andere, unvollständig ist.
Erst dadurch entsteht jene Form von Aufmerksamkeit, die nichts mehr mit den Kopfnoten in der Schule zu tun hat. Unsicherheit, das Gefühl, dass nichts so sein muss, wie es ist, und Perspektivwechsel wichtiger sein kann, als jede Information, sind, wie wir später sehen werden, das Rettungsboot in der Sturmflut der Informationen.
WENN MENSCHEN NICHT DENKEN
in mittlerweile berühmt gewordenes Experiment, das auch eine Parallele zu den schmeichelnden Computern aus der Stanford-Studie ist, fand vor ein paar Jahrzehnten in New York statt:
In einem Bürogebäude bildet sich regelmäßig eine Schlange vor dem Xerox-Kopierer. Die Wissenschaftler schickten an verschiedenen Tagen einen als Angestellten getarnten Studenten zu den Anstehenden. Dieser Student hatte den Auftrag, den Wartenden klarzumachen, dass er auf keinen Fall die Zeit hätte, sich hinten in der Schlange anzustellen. Und zwar gab er dafür an den unterschiedlichen Tagen zwei verschiedene Gründe an.
Der erste lautete: »Entschuldigung, ich muss mir Kopien machen, darf ich den Kopierer benutzen, ich bin nämlich in Eile…«
Im zweiten Fall war die Begründung eigentlich gar keine, zumindest war sie offenkundig absurd, nämlich: »Entschuldigung, ich muss nur fünf Kopien machen, darf ich den Kopierer benutzen, weil ich kopieren muss?« 93
Obwohl im zweiten Fall die Information, die der Student lieferte, völlig sinnlos war, reagierten die Menschen nicht anders als im ersten Fall, in dem er zumindest Eile als Grund angab. In beiden Fällen wurde der Student vorgelassen.
Man könnte nun sagen: Die anderen Anstehenden belohnten den Studenten allein dafür, dass er mit ihnen in Kontakt trat, was sie als Zeichen von Dringlichkeit werteten. Aber das wäre ein bisschen sehr profan.
Denn tatsächlich waren, wie die Studien ergaben, die
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