Payback
Technologie kann von Ermittlern, Kontrollbeamten, Bildungsbeauftragten und auch sonst jedermann benutzt werden, der ein legitimes Interesse am Verhalten von Menschen in Organisationen hat.« 87
Lassen wir für einen Augenblick beiseite, dass dergleichen in Europa im Augenblick aus Datenschutzgründen nicht möglich ist - wobei die Schutzmauern zu bröckeln beginnen. Es reicht, dass es im mächtigsten Land der Welt möglich und technisch machbar ist. Aus den »Cataphora«-Selbstanpreisungen leiten sich zwei sehr wesentliche Informationen ab:
Vernetzung heißt nicht mehr nur das Internet, wie wir es heute kennen, Vernetzung heißt alles, vom Heizungssensor im Wohnzimmer bis zum Handy bis zur Facebook-Seite - durch alles und mit allem werden wir gelesen.
Firmen wie »Cataphora« trauen sich mithilfe ihrer Algorithmen zu, Kreativität zu bestimmen: Sie glaubt, durch Auswertung von E-Mails diejenigen Mitarbeiter zu identifizieren, die Generatoren und Sender von neuen Ideen sind.
Es wird aber noch mehr geschehen. Besser gesagt: Es geschieht schon. Programmierer werden in der Lage sein, auch solche Vorgänge in maschinenhafte Routinen zu übersetzen, die sich der Berechnung bislang widersetzten; spontane Einfälle, Assoziationen, unbekannte Reiserouten und die Frage, ob ein Konzert, das in einer Stunde beginnt, gut sein wird oder nicht.
Statt also das Internet immer nur wie einen großen Spielplatz zu betrachten, sollte man sich, rät Stephen Baker, lieber vorstellen, »wie die mathematischen Modellierer eines Tages an der Tür Ihres Arbeitgebers erscheinen werden, entweder als Phalanx blau gewandeter Unternehmensberater oder vielleicht in einem Computerprogramm codiert. Sie werden Sie fest ins Visier nehmen.« 88
Denn so wie besagter Online-Buchhändler heute schon weiß, was Sie morgen interessieren dürfte, können die Leute bei großen Unternehmen wie beispielsweise IBM bereits bei in der Entwicklung befindlichen hochkomplexen Menschenbewertungssystemen kalkulieren, was jeder einzelne Arbeitnehmer mit seinen Fähigkeiten, Angewohnheiten, Launen und Krankheiten wert ist und in der Zukunft noch wert sein wird.
Jetzt, in dem Augenblick, da Sie dieses Buches lesen, werden gleichzeitig in allen großen Maschinenräumen unserer Gesellschaft die Fäden eines gigantischen Netzes gesponnen, und jeder Bewohner der digitalen Welt, ob mit Handy oder Laptop, spinnt eifrig an dem Netz jeder seiner Lebensinformationen mit: an den Arbeitsplätzen (über die wir gleich mehr erfahren werden), im Internet und in den Wissenschaften. Jedermann spürt den Grusel, den solche Möglichkeiten auslösen, und er steigert sich noch, wenn man an die Missbrauchsmöglichkeit von Seiten des Staates denkt. Aber es fällt Menschen schon sehr viel schwerer nachzuvollziehen, dass sie sich gar nicht gruseln werden, weil ihre Art zu denken sich längst mit den neuen Verhältnissen arrangiert hat, weil das Denken selbst sich verändert hat.
Die Systeme, die Baker beschreibt, zielen auf Profit, Konsum, Werbung. Aber gleichzeitig verändert sich ein anderes System: die Wissenschaft und damit sehr bald schon die Art, wie wir denken werden. Was hier geschieht, wird einem klarer, wenn man sich an Steven Strogatz' Bemerkung über die Mathematik erinnert und sie auf seine eigenen Lebensverhältnisse überträgt: Strogatz, wie wir gesehen haben, beschrieb, dass Mathematiker zwar Resultate komplexer Berechnungen noch überprüfen können, nicht aber die Beweisführung, und er befürchtete, dass daraus ein Autoritarismus entstehen könnte, der uns zwingt, den Computern zu glauben, ohne zu wissen, warum.
Das »neue Denken« entsteht dadurch, dass man mithilfe des unvorstellbaren mächtigen Daten-Inputs aller Menschen, die mithilfe der modernen Technologien reden, schreiben, kaufen, denken, sehen, gehen, fahren, fliegen, Türen öffnen und schließen, und der noch mächtigeren Algorithmen keine Modelle mehr benötigt, um sie zu analysieren, zu erklären oder zu deuten.
Solche Visionen sind realistisch, seitdem es kein Problem mehr ist, Datenmengen im Umfang vieler »Petabytes« (2 Petabytes entsprechen sämtlichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen in den USA in einem Jahr) zu speichern, zu organisieren und miteinander zu verbinden. Man muss nur noch nach Korrelationen suchen, nach Übereinstimmungen und Zusammenhängen zwischen den Daten. Das ist gemeint mit der Veränderung des Denkens.
Es bedeutet, wie der Chefredakteur der Zeitschrift »Wired« Chris
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