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und Gewohnheiten, und einzig der Datenschutz verhindert, dass diese Daten unter Klarnamen ausgewertet werden. Durch die Vorratsdatenspeicherung sind sie für staatliche Stellen abrufbar und erlauben die Modellierung außerordentlich genauer sozialer Profile.
Aber auch hier ist Überwachung nur die eine Seite des Sachverhalts. Womit wir zunächst zu tun haben, ist die Auswertung der anonymisierten Datenmengen für Verhaltensvorausberechnungen von Menschen. Sie sind eine unschätzbare Ressource, und da die mobilen Geräte in der unmittelbaren Zukunft eine noch viel größere Rolle spielen werden, ist es gut, sie im Auge zu behalten. Je stärker die Codes unser Informationsverhalten prägen, desto größer ist die Gefahr, dass wir uns selbst und andere nur nach vorgegebenen Mustern beurteilen, ohne die Chance, aus ihnen auszubrechen - weil das Muster uns immer wieder einholt.
»Millionen Menschen«, schrieb 2008 die »New York Times« über die Datenhaie im Internet, »sind mit einem breiten Spektrum von Werkzeugen ausgestattet worden, um ihre Individualität auszudrücken, und eine kleinere Gruppe von Menschen hat die effizientesten Methoden ausgearbeitet, um diese Menschen zu Zahlen auf einer Tabelle zu konvertieren«. 84
Wir sind also in einer Zwickmühle: Wir brauchen die Software, die uns analysiert, um mit der Informationsflut fertig zu werden. Aber indem sie uns analysiert, reduziert sie immer mehr unser Gefühl dafür, dass wir wählen können und einen freien Willen haben. Wenn Sie sich völlig durchschaubar machen, »wäre es denkbar«, sagt Eric Schmidt, »dass eines Tages eine vergleichbare Software mit ganz anderen Daten entsteht, beispielsweise der menschlichen DNA. Plötzlich erkennen wir, dass jemand mit einer menschlichen Anomalie (oder einer Krankheit) eine Art Doppelgänger irgendwo in der Welt hat. Wir könnten Lebens- und Ernährungsgewohnheiten miteinander vergleichen, Übereinstimmungen feststellen und zu ganz neuen medizinischen Erkenntnissen kommen. Das gilt auch für Krankengeschichten allgemein. Die Frage ist natürlich, ob Menschen das überhaupt wollen… Es könnte sein, dass sie es wollen, weil es ihnen hilft.« 85 Vielen, die die technischen Möglichkeiten unterschätzen, erscheint das heute undenkbar, und ihr erster Gedanke ist der Datenschutz. Aber sie vergessen nicht nur, dass Datenschutz mürbe wird, wo persönliche Interessen im Spiel sind, sondern auch den evolutionären Sprung, der durch eine Generation von Menschen ausgelöst werden wird, die nichts anderes als die modernen Kommunikations-formen kennen.
Man sieht: Das alles entspricht sehr genau dem, was der Mathematiker Steven Strogatz oben über das »Ende der Einsicht« in der Mathematik sagte.Wie dort die Mathematiker sich dem Computer unterwerfen, dessen Beweisführung sie nicht mehr nachvollziehen können, so unterwirft sich der Durchschnittsbürger bei immer mehr Entscheidungen seines Lebens: Er kann vielleicht noch sagen, ob die Resultate richtig sind oder nicht, aber wie er darauf kam, einen Bademantel zu kaufen, ist ihm schleierhaft.
Auch Stephen Baker, der die Numerati wie kein zweiter kennt, ist gespalten in der Beurteilung. »Ich glaube, die Software-Ingenieure werden uns mit ihren Systemen wirklich viel abnehmen und damit unsere Hirne für die wirklich wichtigen Dinge freimachen, zum Beispiel für die Liebe.«
Stephen Baker ist überzeugt, dass die Programmierer schon sehr bald Algorithmen entwerfen werden, mit denen noch viel klügere Voraussagen über unsere Leben, Hoffnungen und Ver zweiflungen getroffen werden können. »Ihre Spezialität«, so sagt er, »wird aber in all den Bereichen sein, wo wir Routinen entwickeln.« 86
Facebook, Twitter, der eigene Blog: Viele glauben, das seien nur Spielzeuge unter anderen, Möglichkeiten zur eigenen Entfaltung, Plattformen des Selbst. Möglicherweise sind sie es. Aber alles, was wir auf ihnen treiben, ist Input.
»Cataphora« heißt eine hocheffiziente Softwarefirma in Kalifornien, die sich auf ihrer Website so vorstellt: »Beinahe jeder von uns hinterlässt im Laufe eines Tages digitale Fußspuren. Wir schreiben E-Mails und Berichte. Wir telefonieren, simsen, chatten, bloggen, twittern und hinterlassen Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Wir aktivieren elektronische Türschlösser.
Diese und viele andere Aktionen werden aufgezeichnet. Cataphora kann alle diese Teile zusammensetzen, um Verhaltensmuster abzubilden, die niemals zuvor verfügbar waren. Unsere
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