Payback
Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen.«
Die Sätze, mit denen seine berühmteste Erzählung »Die Verwandlung« beginnt, sind nicht nur schauderhaft-schön, sie beschreiben eine körperliche, vor allem aber auch kognitive Verwandlung, einen Menschen, der nicht nur die Welt anders sieht als zuvor, sondern von der Welt auch anders gesehen wird.
Ich hätte bei Pirollis Krabbeltier vielleicht noch gezögert, Kafka und die Verwandlung des Menschen in einen Käfer zu zitieren. Aber dann veröffentlichte Pirolli 2007 in seiner Theorie diese Grafik:
Sie zeigt im oberen Teil das Verhalten des Käfers, wenn er den Sexualduftstoff wittert. Die zweite Zeichnung zeigt sein Verhalten, wenn ihm durch einen Windhauch die Suchrichtung erleichtert wird. Bei Menschen, die im Internet suchen, sieht man ein identisches Verhalten, wenn die Witterung wie bei (a) schlecht ist, oder wie bei (b) gut, weil Algorithmen die Rolle des Windes übernehmen.
Es geht hier eindeutig nicht mehr um das Verhalten am Fernsehschirm, wo wir allenfalls das nächste Programm suchen. Wenn wir im Netz oder am Handy nach Informationen und Antworten suchen, werden Urinstinkte mobilisiert, und das ist einer der seltenen Fälle, wo unser Urmenschentum perfekt in die Interessen der Informationsindustrie des 21. Jahrhunderts passt.
Die Art, wie Tiere nach Nahrung suchen, entspricht nicht nur unserem ständigen Wittern nach Informationen. Forscher der Universität Idaho haben herausgefunden, dass wir sowohl in der Außen- wie in unserer Innenwelt vor allem zwei Strategien kennen, um zum Ziel zu kommen - und beide erklären dieses Gefühl ständigen Getriebenseins. 106
Peter Todd und Robert Goldstein nutzen die Unterscheidung zwischen »erforschender« oder streunender Nahrungssuche und »ausbeutender Suche« - im ersten Fall flitzen wir von einem Platz zum anderen, von einer Aufgabe zur nächsten. Bei der »ausbeutenden Suche« bleibt der Suchende, selbst wenn er dabei verzweifelt, so lange an einem Ort oder bei seiner Aufgabe, bis er einen Nutzen hat, bis er noch den letzten Tropfen aus der letzten Zitrone gepresst hat.
Sie können leicht herausfinden, zu welchem Typ Sie im wirklichen Leben gehören. Es gibt Leute, die so lange in das gleiche Restaurant gehen, bis sie zum Inventar geworden sind. Andere erforschen auf ihrer Futtersuche jedes einzelne neue Restaurant, bis sie die ganze Welt durch die Küche kennen.
Aber was im wirklichen Leben fast ein Spiel ist, erwischt uns im Netz und bei unseren Handys mit der ganzen Gewalt eines unstillbaren Verlangens. Die Aufnahme von Informationen über die Computer hat nichts mit der im Vergleich dazu harmlosen Erforschung von Kneipen zu tun - obwohl man auch nach diesen Informationen im Netz sucht. Dort scheint diese Suche tatsächlich fundamentalen biologischen Überlebensmustern zu folgen. In Zeiten, wo bei vielen selbst die Erinnerung an Nahrungsknappheit verblasst, zeigt sich, dass das, wonach wir wirklich hungern, Informationen sind.
Im Extremfall führt der ausbeutende Stil zu Aufmerksamkeitsdefizitsyndromen, der erkundende Stil zu Zwangsstörungen. Todd und Goldstein schreiben:
»Diese Erkenntnisse haben wichtige Folgen für jüngste Studien über Neurochemie und kognitive Störungen. Ausbeutende und unaufmerksame Nahrungssuche… scheint eine Verringerung von Dopamin im Hirn zu bewirken. Viele Aufmerksamkeitsstörungen… haben aber auch mit einem Dopamin-Defizit zu tun. Diese ›Nahrungssuche‹ am Computer hat weitreichende Folgen für das Denken.« 107
Der Glücksstoff Dopamin wird bei der Internet-Suche freigesetzt, wenn wir etwas finden. Und je öfter wir etwas finden, desto mehr suchen wir aus Verlangen nach dem nächsten Do-main-Kick. Doch je zielloser die Suche, desto stärker werden die gegenteiligen Effekte. Es ist klar, dass die gegenwärtige Architektur des Internets und der mobilen Geräte die streunende Suche erzwingt. Und es ist das Ziel der Programmierer, die Signale zu entschlüsseln, die wir für unsere Witterung benötigen.
Das können Orte, Farben oder auch Geräusche sein. Wassertümpel verheißen Antilopen für Löwen, Gelb verspricht Honig für die Bienen, und bestimmte Vibrationen verraten den Schlangen, dass
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