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Beute in der Nähe ist.
Menschen reagieren stark auf Landschaften und Vegetation, und am stärksten auf Bilder der Savanne. Dort gibt es genügend Nahrung, Bäume spenden Schatten, und man kann an ihnen auf der Flucht vor Raubtieren hochklettern, die Sichtachsen sind gewaltig und erstrecken sich bis zum Horizont, und die sanften Steigungen helfen bei der Orientierung. 108
Die Savanne aber ist urgeschichtlich der Ort, wo der Mensch gelernt hat, Informationen zu sammeln. Schon dreijährige Großstadtkinder, die kaum laufen, geschweige klettern können, bevorzugen Bäume mit weiten Kronen, weil man »gut hochklettern kann«, »vor dem Löwen sicher ist« und »Schatten findet«.
Wie gesagt: Menschen, ob Erwachsener oder Kind, entscheiden sich, wenn ihnen Ansichten verschiedener Landschaften zur Auswahl gezeigt werden, mehrheitlich für Bilder der Savanne. Und nicht nur das: Wir finden dort sogar einen bestimmten Baum besonders anziehend, ohne sagen zu können, warum.
Es ist der Typ Schirmakazie, deren Krone besonders nah am Boden wächst. Diesen Baum gibt es in drei Variationen. Eine, die im Trockenen wächst, eine, die im Sumpf wächst und eine, die dort wächst, wo sich Wasser und Leben findet.
Die Akazie, die nun alle Menschen auf der Welt am meisten anzieht, ohne dass sie je auf Nahrungssuche oder auch nur in Afrika waren, ist die, die auf Wasser und reiche Nahrung hindeutet. Sie wurzelt in unserem Urgedächtnis, sie wandert als Bild des Schönen in die Gartenkunstideale des 18. Jahrhun-derts, wo sie gezeichnet und gemalt wird, von dort in die Auktionshäuser des 20. Jahrhunderts, wo die Bilder hohe Preise erzielen, und nun erobert sie als auf den puren Reiz reduziertes Gerippe die Software des 21. Jahrhunderts.
Das alles ist Leben. Und interessant wird es dadurch, dass die
DER SCRABBLE-TEST/
Das Suchverhalten hängt von den Erfahrungen der Umwelt ab. Forscher ließen Testpersonen ein Computerspiel spielen, in dem sie nach Nahrung suchen sollten. Eine Gruppe bekam eine Umgebung, in der es wenige, aber dafür sehr lohnende Nahrungsvorkommen gab. Das war die ausbeutende Variante. Die Teilnehmer blieben folglich länger an einem Ort und zwar so lange bis die Nahrungsmittel restlos ausgebeutet waren. Die andere Gruppe musste sich in einer Wildnis zurechtfinden, in der Nahrungsmittel viel häufiger, aber in sehr viel kleinerer Menge vorkamen. Sie erlebte also die erforschende Such-Variante, weil sie immer nur kurz an einem Ort bleiben konnte und sich die verstreute Nahrung zusammensuchen musste. Diese Erfahrung reichte aus, um bei einem sich anschließen den »Scrabble-Spiel« das Suchverhalten der Testpersonen nachhaltig zu beeinflussen. Die Wissenschaftler gaben ihnen eine Reihe von Buchstaben und die Aufgabe, mithilfe ihres Wortgedächtnisses - also ohne die Steine wirklich auf das Spielfeld zu legen - aus den Buchstaben Worte zu bilden. An ders als beim wirklichen Scrabble durften die Testpersonen so oft Steine austauschen, wie sie wollten. Im Ergebnis wa ren diejenigen, deren Neuronen auf »Ausbeutung« gedrillt worden waren, konzentrierter beim Scrabble und versuchten so wenig Buchstaben zu tauschen wie nötig. Die anderen waren unruhig und rastlos damit beschäftigt, die Buchstaben umzutauschen. Die meisten Menschen sind, wie die Wissen schaftler herausfanden, auf eine Art des Suchverhaltens pro grammiert. Was für Nahrungsmittel gilt, gilt ebenso für Ideen und Gedanken. 109
Entwickler dieses Leben nun in die Computerprogramme einbauen wollen, um unsere vererbten Reaktionen zu nutzen. Denn die Ingenieure sind gerade dabei, das mathematische Äquivalent solcher Akazien in die Software zu pflanzen. Es sind Signale, die dem vom Hightech-Burn-out verglühenden Benutzer Wasser und Schatten versprechen. Ohne Zweifel wird es uns wirklich die Informationssuche erleichtern. Diese Signale werden Webseiten verbessern und Suchvorgänge erleichtern. Gleichzeitig bedeutet es, einen weiteren Schritt Darwins ins Reich unseres Denkens.
Die Einordnung dieses Prozesses durch die moderne Evolutionsbiologie erklärt, warum dieser unschuldige Vorgang der Informationsverarbeitung, des Surfens, der Angst, Nachrichten zu verpassen, der Erreichbarkeit so atemlos und zermürbend sein kann wie die Flucht vor dem Säbelzahntiger.
Das beschreibt eine moderne Variante des Kampfs ums Dasein, und schaut man ins Internet, in seine Streitereien über sterbende und neue Medien, Institutionen und Autoritäten, dann erkennt man, wie sehr
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