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der Darwinismus Teil der neuen Informationsgesellschaft geworden ist. Die einen, könnte man sagen, sind den geistigen Anforderungen nicht mehr gewachsen, die anderen surfen auf der Welle der siegreichen Art davon.
Doch das ist nicht die ganze Wahrheit.Wir sammeln ja nicht nur Informationen, wir werden selbst Informationsmaschinen, leicht angestaubte Computer mit Gefühlen.
Lebensraum und Jagdrevier
Wir haben gesehen, dass immer mehr Menschen das Unterscheidungsvermögen dafür verlieren, was wichtig ist und was nicht. Wir wissen nur, was uns satt macht und was uns hungrig lässt. Aber das Ungeheuerliche an diesem Vorgang ist: Während die Menschen die Unterscheidungsfähigkeit verlieren, versuchen Softwareingenieure auf der ganzen Welt, sie den Maschinen beizubringen.Während wir aus Nachrichten bloße Informationen und aus Informationen einförmige Daten machen, lernen die Computer, den umgekehrten Weg zu gehen.
Das ist ein weiterer Schritt zur freiwilligen Maschinenwerdung des Homo sapiens. Auf dem Weg dahin werden in der nächsten Generation der Suchroboter, der Agenten und der Plattformen nicht mehr nur Links und
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zählen, sondern tatsächlich versuchen, Bedeutung zu gewichten.
Um das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, müssen die Computer etwas von uns lernen, was uns selbst meist gar nicht bewusst ist: Die Art und Weise, wie wir mit Worten, Bildern, Gerüchen Assoziationen und Gedanken verbinden, kurz - unser assoziatives Gedächtnis erfassen, ausmessen und in Mathematik verwandeln.
Assoziatives Gedächtnis, von dem Pirolli am Beispiel des Parfüms seiner Freundin sprach, ist ein abstrakter Begriff für etwas, das jeder kennt. Was fällt Ihnen beispielsweise beim Begriff »Feuerwehr« ein? Den meisten Menschen spontan »tatütata« oder »rot«. Wir verknüpfen, wie Karl Haberlandt in seinem Standardwerk über das Gedächtnis schreibt, »einzelne Gedächtnisinhalte aufgrund früherer Erfahrung so miteinander, dass der eine Inhalt den anderen hervorruft«. 110 Das kann, wie gesagt, ein Parfüm oder auch eine Musik sein, Gedanken, Gefühle, Berührungen, und es ist das, was Maryanne Wolf mit der »inneren Stimme des Lesers« meint.
Und diese, unsere!, Assoziationen können bereits berechnet und vorhergesagt werden. Gewiss noch unausgereift und fehleranfällig, gewiss erst in Ansätzen. Doch unter allen Superlativen des Informationszeitalters ist dieser, so scheint mir, der wichtigste, dessen sich jeder aufgeklärte Benutzer der neuen Technologien bewusst sein sollte. Im Kern versucht also die Software unsere Gedanken vorherzusagen.
Vielleicht hält sich die Aufregung darüber in Grenzen, weil es Computer-Theorien des assoziativen Gedächtnisses, deren sich nicht nur Pirolli, sondern auch die Suchmaschinen im Netz bedienen, schon seit den siebziger Jahren gibt.
Seither bewegen sich Millionen von Menschen im Internet. Das hat dazu geführt, dass die Computer recht gut darin geworden sind, die Stärke der Verbindung zwischen Assoziation und geistiger Vorstellung zu berechnen, nicht für jeden einzelnen Menschen, aber als Durchschnittswert.
Das gelingt deshalb immer besser, weil das ganze Internet eine Art Lebensraum aus Worten geworden ist. Der Lebensraum spiegelt die Gedanken der vielen Menschen, die in ihm wirken, aber die Gedanken des Einzelnen spiegeln auch die Landschaft, in der er sich bewegt.Was für die Trachten der Bayern, den Dialekt der Sachsen, die Lebensart der Italiener oder die Küche der Franzosen gilt, gilt eben auch hier.
Eine umfangreiche mathematische Analyse Ihrer Bewegungen, Spuren und Angaben im Netz - in den Blogs, in Facebook, in Twitter, vielleicht sogar irgendwann in Ihren E-Mails - kann die Verbindung zwischen dem freilegen, was die Worte bedeuten, und was wir mit den Worten assoziieren. Das ist es, womit »Cataphora« arbeitet, wenn sie die E-Mails scannt, und es ist das, was uns bald lesen wird, wenn wir im Netz lesen.
Die Auswertung und Analyse unserer Assoziationen, die unsere Aufmerksamkeit im Netz und in allen anderen Informa-tionssystemen lenken und erleichtern soll, halte ich für einen der gravierendsten Vorgänge der aktuellen Entwicklung.
Auch hier geht es ja darum, der überforderten Aufmerksamkeit einen Ausweg zu eröffnen. Wir sollen schnell finden, was wir wissen wollen.Wir sollen aber vor allem gefunden werden.
WO FÄNGT DER COMPUTER AN, WO HÖRT DAS HIRN AUF?
ie fast unbeantwortbare Frage, vor der nun die Menschen hinter Google, Xerox
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