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Zuschauer schnell oder langsam auf den Heimweg machten.« Echtzeit-Internet wird unser Verhalten in die Zukunft drehen und komplexe Reaktionsmuster auslösen, die wir heute umgangssprachlich mit dem Begriff »selbsterfüllende Prophezeiung« belegen. Sie werden uns viel abnehmen. Aber man denke an Ellen Langers Patienten: Sie werden, wenn Menschen sie als reine Informationen aufnehmen, auch Geschehnisse auslösen, die nur geschehen, weil Computer sie erwarten.
»Ein aufregenderer Aspekt«, sagte Google-Gründer Larry Page vor ein paar Jahren in einem Interview, »ist die Vorstellung, dass Ihr Gehirn von Google verstärkt wird.Wenn Sie beispielsweise an etwas denken, könnte Ihnen Ihr Handy die Antwort ins Ohr flüstern.« 167 Es sollte mittlerweile klar geworden sein, dass es sich bei solchen Visionen nicht um haltlose Fantastereien handelt. Schon in naher Zukunft werden Handys mit Projektoren ausgestattet sein, die jede Oberfläche, von der Handfläche bis zur Hauswand, zu einem Computerterminal machen, der Zugang zum World Wide Web ermöglicht. Das Projekt trägt den bezeichnenden Titel »The Sixth Sense«. Ist der User bereit, sich von den Computern vollständig lesen zu lassen, seine Suchgeschichte und seine Daten zur Verfügung zu stellen, verbindet sich eine Welt, die zum Computerterminal geworden ist, mit der von Google verkündeten Vision, dass der Computer Antworten liefert, ohne die Frage zu kennen. 168
Es war keine Science-Fiction, als der Autor Bruce Sterlin die Ankunft der »Spimes« vorhersagte, die die uns gebaute Wirklichkeit verändern werden. Sie sind bereits bei Autos in Produktion. Spimes sind banalste Chips, die in fast jedes Produkt eingebaut werden, das uns umgibt. Sie werden, wenn man will, nicht nur Daten über seinen Zustand senden, sondern auch über die Geschichte seines Gebrauchs. Das akzeptiert man bei einem Motor. Der nächste Schritt sind Türöffner, Sportschuhe, Nahrungsmittel und am Ende der eigene Körper. Die größte Gefahr ist, dass die Welt der Vorhersagen eine Welt der Vorherbestimmung wird.
Wir erleben gerade in Echtzeit, wie eine Gesellschaft unwiderruflich die Fundamente ihres Weltbildes ändert. Erst die, die heute noch mit Lego spielen, werden es so selbstverständlich finden, wie der Fisch das Wasser. Noch hat sich nicht überall herumgesprochen, dass nicht nur die Hirnforscher, sondern auch moderne Psychologen davon ausgehen, dass der freie Wille ein Konstrukt ist, und dass in unserem Hirn »geistige Butler« arbeiten, »die unsere Absichten und Vorlieben so gut kennen, dass sie sie vorwegnehmen und die Dinge für uns (ohne Bewusstsein, F.S.) regeln«. 169 John Bargh hat das geschrieben in einer der einflussreichsten psychologischen Studien der letzten Jahre, der er in Anlehnung an Milan Kunderas Roman den Titel »Der unerträgliche Automatismus des Seins« gegeben hat.
Und hier bei der Frage des freien Willens zeigt sich schließlich auch, wie wichtig der Perspektivwechsel in Zeiten des digitalen Lebens ist. Sie ist keine akademische Frage. In einer vorausberechneten und vorhergesagten Welt wird sie zu einer Alltagsfrage der Menschen. Dabei ist es völlig egal, ob es einen freien Willen gibt oder nicht, wichtig ist, dass wir an ihn glauben - ein Glaube, den uns kein Computer der Welt geben kann, ja der im Widerspruch zu seinem Programmauftrag steht. Denn wenn der Glaube an den freien Willen schwindet, verändert sich das soziale Verhalten von Menschen schlagartig. Sie werden deutlich aggressiver und weniger hilfsbereit gegenüber anderen Menschen. 170 Vielleicht ist der freie Wille eine Illusion, und die Computermodelle, die ihn widerlegen, haben Recht. Aber es ist eine Illusion, die, wie Roy Baumeister schreibt, der Gesellschaft nützt, weil sie ihr das Fortbestehen ermöglicht.
Menschen spüren längst, worum es hier geht. Nur deshalb sind die Instinkte so wach, die Zensur, Manipulation und Überwachung von Seiten des Staates schon im Keim ersticken wollen. Aber der Staat ist nur ein Spieler in diesem Spiel. Andere Mitspieler sind die großen Internet-Unternehmen, Parteien und Lobbyisten. Aber sie alle sind nichts gegen die Gefahr, die droht, wenn sich durch die Computerisierung des Lebens sanft und unwiderstehlich unser eigenes Menschenbild zu verändern beginnt. Die Vorstufen - von den Schuldgefühlen und den Krankheitsbildern des misslingenden Multitaskings bis zur totalen Ich-Erschöpfung des Einzelnen - haben wir in diesem Buch kennengelernt. Und all das
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