Peacemaker
leichtes Pochen an seiner Wange: Schritte auf dem Deck des Frachtkahns.
Wenn er doch nur mit ihnen hätte sprechen können, ihnen hätte erklären können, dass er keine Bedrohung für sie darstellte. Ihm war natürlich bewusst, dass dieser Gedanke lächerlich war. Im Augenblick stellte Flucht seine einzige Chance dar, wenn er überleben wollte.
Er blickte an der Reihe von Booten entlang und hielt nach einem Versteck Ausschau. Zwischen den vielen altmodischen Holzbooten lag ein moderner Katamaran. Wenn es ihm gelang, die ganze Strecke unter Wasser zu schwimmen, konnte er sich zwischen den beiden Rümpfen verstecken. Er hatte allerdings Zweifel, ob er es schaffen würde. Eine knapp zehn Meter breite Lücke klaffte zwischen dem Katamaran und dem nächsten Boot. Falls er in dieser Lücke auftauchen musste, hatten seine Verfolger gute Aussichten, ihm den Kopf wegzupusten.
Gideon atmete ein paarmal tief ein, dann tauchte er wieder ab. In dem braunen Wasser konnte er fast nichts sehen, nur dunkle Schatten, die über ihm trieben. Er tauchte unter einem Boot hindurch, dann unter einem zweiten, dann unter einem dritten. Übertreib es nicht , sagte er sich und gab sich Mühe, nicht seine gesamte Luft zu verbrauchen.
Wie viele Boote hatten sich zwischen dem Frachtkahn und dem Katamaran befunden? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Dann sah er den blassen, schwankenden Himmel über sich. Er befand sich jetzt in der Lücke. Noch zehn Meter bis zum Katamaran. Zumindest hatte der Abstand von der Stelle aus, an der er sich zuvor befunden hatte, wie zehn Meter ausgesehen. Jetzt befürchtete er, dass es womöglich weiter war. Seine Lunge brannte bereits.
Ein Zug mit den Armen, ein Stoß mit den Beinen, ein Zug mit den Armen, ein Stoß mit den Beinen.
Sein Sichtfeld wurde schmaler, als er spürte, wie der Sauerstoffmangel sein Gehirn abschaltete. Nur noch ein paar Meter.
Doch das Bedürfnis zu atmen ließ sich kaum noch unterdrücken. Seine Arme und Beine fühlten sich an wie aus Gummi. Er sah die schwankende dunkle Form des Katamarans, zwei lang gestreckte Schatten im Wasser.
Ein Zug mit den Armen, ein Stoß mit den Beinen, ein Zug mit den Armen, ein Stoß mit den Beinen.
Plötzlich wurde alles grau. Er würde es nicht schaffen.
Ein Zug mit den Armen, ein Stoß mit den Beinen.
Dann … irgendetwas Dunkles.
Gideon verdrängte die Spinnweben aus seiner Wahrnehmung und machte noch einen letzten Stoß mit den Beinen, bevor er auftauchte. Ein Keuchen entfuhr seinen Lippen. Er hoffte, dass es vom Kai nicht zu hören war. Sauerstoff strömte in seine Lunge, als er abermals nach Luft schnappte. Er war so geschwächt, dass er sich nur mit Mühe an dem Nylonseil festhalten konnte, das neben ihm ins Wasser hing.
Aber er hatte es geschafft.
Über ihm befand sich das Glasfaser-Deck des Katamarans. Er machte zwei kraftlose Schwimmzüge, um sich unter dem Zentrum des Decks in Position zu bringen. Die Sicht auf den Kai war versperrt. Außer dem unteren Teil der Rümpfe der nächsten Boote war nichts zu erkennen. Wenn er seine Verfolger nicht sehen konnte, konnten sie ihn auch nicht sehen.
Wieder war Geschrei zu hören. Die Männer, die es auf ihn abgesehen hatten, waren inzwischen offenbar frustriert. Hin und wieder schossen sie ins Wasser, ohne auf irgendetwas Bestimmtes zu zielen.
Dann, nach einer Weile, hörte alles auf. Keine Schüsse mehr, kein Geschrei. Nur Stille.
Nachdem die Aufregung vorbei war, hatte er nicht nur Zeit, um nachzudenken, sondern auch, um sich Sorgen zu machen. Wie sollte er von hier wegkommen? Er ging davon aus, dass er sich den Weg von Boot zu Boot würde bahnen können, bis er das Ende des Kais erreichte. Aber was dann?
Die Dschihadisten würden Ausschau nach ihm halten. Er hatte hier keine Freunde, kein Geld, keine Kontakte, kein Telefon oder Funkgerät. Gideon hielt sich an dem Nylonseil fest und trat mit kleinstmöglichem körperlichem Kraftaufwand Wasser.
Er wartete eine gefühlte Ewigkeit, dann arbeitete er sich bis zum Heck des Katamarans vor und riskierte einen Blick. Eine Reihe von Booten schaukelte sanft im Wasser. Der Kai war verlassen.
Dann sah er es. Am hinteren Ende des Kais war ein großes modernes Schnellboot festgemacht. Auf das Heck war mit primitiven Strichen ein großer Affe gemalt. Er hatte einen wilden Blick, und sein Maul war weit aufgerissen, entweder in hysterischem Lachen oder zu einer bedrohlichen Grimasse. Gideon richtete flüsternd eine Entschuldigung an den jungen Mann aus
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