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Peacemaker

Peacemaker

Titel: Peacemaker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Gordon
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und noch bevor dieser seine Hand verlassen hatte, wusste er, dass er alles richtig gemacht hatte. Der Speer flog geradewegs auf Tillman zu.
    Doch Gideons Euphorie verflüchtigte sich ebenso schnell wieder, wie sie gekommen war, als ihm bewusst wurde, dass Tillman sich nicht von der Stelle bewegen würde. Der Speer flog in einem eleganten Bogen durch die Luft, scheinbar so langsam wie eine Feder, die von einer sanften Brise getragen wurde. Gideon beobachtete das Gesicht seines Bruders. Tillman wusste ebenfalls, dass der Speer geradewegs auf ihn zugeflogen kam, war sich darüber im Klaren, dass er ihn treffen würde. Doch er zuckte nicht einmal zusammen. Er presste nur die Lippen aufeinander und harrte der Dinge.
    Die Spitze des Speers traf ihn unmittelbar oberhalb des Schlüsselbeins und durchbohrte seine rechte Schulter wie Butter. Er verzog leicht das Gesicht und machte eine Vierteldrehung, fiel auf die Seite und blieb röchelnd liegen.
    Aus seinem Rücken stand fast ein halber Meter blutiges, zugespitztes Holz hervor.
    Dem Arzt zufolge hätte der Speer die Schlüsselbeinschlagader getroffen und Tillman binnen fünf Minuten getötet, wenn er ihn einen Zentimeter tiefer getroffen hätte.
    Das war das einzige Mal, dass Gideons Vater Hand an ihn legte. Er bestrafte seinen Sohn so methodisch wie ein Tennisspieler, der vor einem Match seine Vorhand übt.
    Die Erinnerung an seinen röchelnden Bruder und an den brennenden Schmerz, den die Hand seines Vaters auf seinem Gesäß hinterlassen hatte, kehrte zurück, als Gideon dastand und den Ring von Speeren betrachtete, die auf ihn gerichtet waren. An ihren Spitzen waren geschärfte Metallstücke befestigt, die aussahen, als seien sie aus den Motorhauben von Autos gerissen oder aus Kochtöpfen geschmiedet worden. Wenngleich sie primitiv wirkten, war Gideon sich darüber im Klaren, wie leicht sie Muskeln und Knochen durchdringen konnten.
    Die Männer bombardierten ihn noch immer mit wütenden Fragen und Anschuldigungen in einer Sprache, die er nicht verstand, deshalb redete er weiterhin in möglichst beschwichtigendem Tonfall auf sie ein. »Ich bin nur hier, um meinen Bruder zu finden.« Gideon hoffte, dass sie seine Absicht verstehen würden, obwohl sie seine Worte nicht verstanden, doch er hätte ebenso gut den Fahneneid rezitieren können. »Sein Name ist Tillman. Tillman Davis.«
    Mehr Geschrei und Gefuchtel mit Speeren, deshalb beschloss er, einen anderen Kurs einzuschlagen. »Abu Nasir«, sagte er. »Er nennt sich Abu Nasir.«
    Der Aufruhr hörte mit einem Mal auf. »Abu Nasir?«, sagte einer der Männer leise.
    »Ja. Abu Nasir.«
    Zwei der älteren Männer tauschten einen Blick, und ihr feindseliger Argwohn wich Neugier.
    Gideon erinnerte sich plötzlich daran, dass Onkel Earl ihm ein aktuelles Foto seines bärtigen Bruders gegeben hatte. Er griff langsam in seine Tasche und holte es hervor.
    Der älteste Mann riss ihm das Foto aus der Hand, betrachtete es und blickte dann zu Gideon auf. Die anderen scharten sich um ihn und fingen an, laut zu diskutieren. Einige Männer stellten pantomimisch dar, wie sie Gideon mit ihren Speeren erstachen. Arbeiteten diese Männer für Abu Nasir, oder waren sie seine Rivalen? Verehrten sie ihn, hassten sie ihn? Gideon war sich nicht sicher.
    Plötzlich kamen sie zu einer Entscheidung und beruhigten sich.
    Der älteste Mann richtete seinen Speer auf Gideons Brust und nickte dann ein Mal, als wollte er ihm ein Gütesiegel verleihen. »Du. Abu Nasir. Komm.«
    »Okay.« Gideon lächelte und nickte energisch. Lächle, dachte er. Hör nicht auf zu lächeln.
    Die Männer – sie waren zu siebt – drehten sich um und gingen schweigend in den Dschungel zurück. Gideon folgte ihnen. Sie marschierten längere Zeit dahin, wobei sie immer wieder stehen blieben und lauschten, ehe sie weitergingen. Auch wenn ihre Gesichter keine Emotion verrieten, bestand kein Zweifel daran, dass sie nervös waren. Gideon hatte den Eindruck, dass sie Angst hatten, überfallen zu werden.
    Sie folgten einem festgetretenen Pfad, der nur stellenweise zugewuchert war. Einige der Männer hatten Macheten bei sich, benutzten diese aber nur ein Mal, um den Weg freizumachen.
    Schließlich stießen sie auf eine Lichtung, auf der bis vor kurzem ein Dorf gestanden haben musste. Doch bis auf schwarzen Ruß und Asche war von den Gras- und Bambushütten nichts mehr übrig. In der Luft hing der Gestank von verwesendem Fleisch. Die Kadaver eines Schweins und seines Wurfs von Ferkeln

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