Pechstraehne
Tor zu, das den Hinterausgang der Schreinerei von der Straße trennte. Dort riss er seine Dienstwaffe aus dem Holster, hob den rechten Arm und zielte auf den Fahrer des schnell näher kommenden Transporters, der sich dadurch jedoch keineswegs beeindrucken ließ und mit durchgedrücktem Gaspedal auf den Polizisten zuraste. Erst im letzten Moment, etwa zwei Meter von Hain entfernt, nahm er den Fuß vom Gas und trat halbherzig auf die Bremse. Hain hatte trotzdem keine Chance, dem Aufprall zu entgehen. Für einen Sprung zur Seite war es erstens zu spät, und zweitens gab es dafür nicht genug Platz auf dem Hof, also warf er die Pistole weg, sprang vom Boden ab, hob die Knie an, breitete die Arme aus und riss die Augen auf. Dabei stieß er einen Schrei aus, den man vermutlich noch in der Innenstadt hören konnte.
Der Aufprall war nicht so hart, wie er ihn erwartet hatte, weil seine Knie auf das relativ weiche, nachgiebige Plastikteil zwischen Motorhaube und Stoßfänger prallten. Seine Hände knallten auf die Windschutzscheibe, wobei er sie so fest wie möglich anpresste, rutschten dann jedoch unerbittlich nach unten. In diesem Augenblick durchzuckte den jungen Polizisten der überaus unangenehme Gedanke, sich nicht halten zu können und von dem Lieferwagen überrollt zu werden, was ihn schlagartig total wütend machte.
Verdammte Scheiße, das kann wirklich böse ausgehen.
Seine rechte Hand hatte nun fast das Ende der Scheibe erreicht, und als sie dort ankam, hätte Hain am liebsten noch lauter gebrüllt, weil er einen höllischen Schmerz spürte, als sein Handgelenk über den rechten Scheibenwischerarm schrammte.
Zugreifen! Jetzt!
Seine Hand bekam den Metallbügel zu fassen, die andere griff nach dem Pendant auf der linken Seite, und im gleichen Moment hatte sein rechter Fuß einen Spalt im Vorderwagen gefunden, auf dem er sich abstützen konnte.
Gerade, als er halbwegs eine Position auf dem wieder Fahrt aufnehmenden Lieferwagen gefunden hatte, wurde der gesamte Körper des Polizisten brutal zusammengestaucht, weil es nun durch die kleine Senke ging, die den Bürgersteig von der Straße trennte. Und genau in diesem Moment trafen sich die Augen des Mannes hinter dem Steuer und die des wie ein Fähnchen im Wind hin und her schleudernden Kripobeamten, dessen Kopf nun mit voller Wucht gegen die Frontscheibe knallte, weil die gesamte Fuhre, nachdem sie nach rechts abgebogen war, voll beschleunigte.
Herrje, was für eine Scheiße.
Damit war die kurze Fahrt des Oberkommissars allerdings auch schon zu Ende, weil der Fahrer mitten in der Beschleunigungsphase den Fuß vom Gas riss und mit aller Kraft auf die Bremse trat. Für einen Sekundenbruchteil hatte Hain die Vision, das Eingreifen des ABS spüren zu können, doch aus diesem unsinnigen Gedanken wurde er dadurch höchst gewalttätig gerissen, dass er der Trägheit folgend den unfreiwilligen Kontakt zu seinem Transportfahrzeug verlor und mit weit vom Körper abstehenden Extremitäten durch die Luft segelte. Der sich anschließende Bodenkontakt war alles andere als schmerzfrei, doch nach etwa sieben- oder achtmaligem Überschlagen rückwärts kam er zwischen einem Golf und einem Motorrad zum Liegen. Den Ducatofahrer schien das Schicksal des Polizisten nicht die Bohne zu beeindrucken, denn er nahm mit quietschenden Reifen Fahrt auf und war kurz darauf hinter der nächsten Ecke verschwunden.
Hain holte unterdessen tief Luft, ließ sich auf den Rücken fallen und betrachtete den blauen Himmel.
Ich will einen Schreibtischjob , schoss ihm dabei durch den Kopf.
Dass die Erfüllung dieses Wunsches noch eine Weile auf sich warten lassen dürfte, war ihm klar; überraschend hingegen war das Auftauchen seines Chefs, der, am Steuer des Dienstvectras sitzend, neben ihm anhielt.
»Alles klar, Thilo?«, rief der Hauptkommissar besorgt aus dem Seitenfenster.
Ein Kopfnicken und ein nach oben gereckter rechter Daumen ließen den Schrecken bei Lenz ein wenig kleiner werden.
»Meinst du, wir können gemeinsam hinter ihm her, oder willst du hier auf einen Krankenwagen warten?«
»Nein, nein, ich komme mit«, erwiderte Hain und richtete stöhnend seinen Oberkörper auf.
»Dann aber los«, forderte Lenz. »Und lass den Scheibenwischer fallen, den können wir bei der Verfolgung dieses Idioten nicht gebrauchen.«
10
»Scheiße«, brüllte Hain.
»Was ist Scheiße?«, fragte sein Boss ebenso laut zurück, um gegen den Krach der Sirene eine Chance zu haben.
»Scheiße ist, dass meine
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