Pecorino und die Kunst des Pilgerns - ein Hund geht den Franziskusweg
Flasche vom hier angebauten Rotwein getrunken. Für mich gibt es Hundefutter aus der Dose, besser gesagt aus deren Leichtversion, dem Plastikschälchen. Auch gut.
Und – da steht sie plötzlich. Wie aus dem Nichts kommend. Weiß und wunderschön. Sie wird ihrem Namen Valanga, zu Deutsch „Lawine“, voll und ganz gerecht. Eine Maremmaner-Hündin. Bilder aus meiner Kindheit werden wach. Doch das Interesse ihrerseits ist eher bescheiden. Der Grund sollte uns nach dem Nachmittagssnack vom Wirt, Bauern und Winzer in Personalunion freudig gezeigt werden: Valanga war erst vor zwei Wochen glückliche Mutter von vier Welpen geworden. Klar, dass die beschützende Mutterrolle da noch überwiegen musste. So behutsam, wie sie nun mit ihren Hundewelpen umging, dürfte die Maremmanin aber immer sein, auch zu Pilgern. Hat sie sich doch schon oftmals in den Kopf gesetzt, pilgernde Passanten einen ganzen Tag lang zu begleiten und erst spätabends wieder auf den Hof zurückzukehren. Diesmal leider nicht!
Agriturismo Marzanella wird als Nächstes und für uns letztes Tagesziel auf den Wegweisern angezeigt. Allerdings mit dem kleinen Wermutstropfen der beigefügten Zeitangabe: vier Stunden. Satt und guten Mutes geht es durch endlose Wälder mit ebenso endlos wirkenden Fotoshootings bergauf und bergab. Am frühen Abend nach vielen Stunden mit ebenso vielen Pausen und insgesamt mindestens 24 zurückgelegten Kilometern, inklusive kleiner Exkursionen und einer allerletzten Steigung, erreichen wir das Tagesetappenziel: das Rifugio Marzanella nahe Tredozio. Wunderschöne Steinbauten auf einer Lichtung. Ein traumhafter Ausblick auf die von Weinreben gesäumte Hügellandschaft. Toskana-Feeling kommt auf, obwohl wir die geografische Grenze erst am übernächsten Tag erreichen sollten. Gepflegter Luxus, der sich in der großzügigen Zimmergestaltung und später beim ersten Abendmahl wiederspiegelte. Ein dreigängiges Menü im Kreise bekannter Gesichter. War doch Pilgerschatten Moreno – welch ein Zufall – auch hier abgestiegen. Es gibt ja auch nicht viel im Umkreis von 30 Kilometern.
Anders als am Jakobsweg existieren hier kaum offizielle Pilgerherbergen. Immer mehr Pfarrgemeinden oder Klöster bieten allerdings mit der zunehmenden Popularität des Franziskusweges einfache Unterkünfte und Schlafgelegenheiten an. Welch ein Glück, wohl in erster Linie für meine beiden verwöhnten Mitreisenden, dass in diesen katholischen Einrichtungen – oftmals mit Massenschlafsälen – Hunde untersagt sind. Reservierungen im Voraus sollten allerdings auch dort frühzeitig getätigt werden. Der Franziskusweg ist – wie man nicht oft genug erwähnen kann – noch ziemlich unerschlossen und somit auch die Gastronomie, Hotellerie und Nahversorgung am Wegesrand.
Beste Fotolichtverhältnisse nach dem Abendessen. Ein Umstand, der mein Herrchen natürlich nicht gleich zur Ruhe kommen ließ. Mich übrigens auch nicht. Pecorino, sitzend auf einem alten, verrosteten Pflug. Pecorino, stehend vor der untergehenden Sonne. Und plötzlich: Pecorino und ein sich ins Bild drängender Beagle. Theo war sein Name. Wieder ein Rüde, aber diesmal ein ganz friedlicher, wie uns die Hausherrin versicherte, weil er eben kein wirklicher Rüde mehr war. Theo wollte spielen. Ich wollte endlich schlafen. Über 22 Kilometer und die erste von insgesamt zwölf Etappen hatten wir mit Franziskus’ Hilfe gut überstanden. Glücklich, erschöpft und müde, aber ohne eine einzige Blase an Pfoten und Menschenfüßen. Ein herrlicher, ein erfüllter erster Tag. Wir waren mit Gott und der Welt um uns herum im Einklang.
Zweite Etappe:
Marzanella bis Premilcuore 24 km
Strahlender Sonnenschein. Beagle Theo schwänzelt ein letztes Mal um uns herum. Das Morgenlicht wäre zwar wieder ideal, doch die besten Motive hatten wir bereits im satten Abendlicht. Also wird gewandert, mitten hinein ins unendliche Grün, das am Wegesrand von kräftigen gelben Blumen durchbrochen wird. Was uns erwartet, ist ungewiss, jedenfalls spielt der Wettergott auch heute mit. Er muss uns Pilger wohl lieben, denn übers heimatliche Österreich zieht gerade eine grauenhafte Schlechtwetterfront, wie meine Wegbegleiter in elendslangen Telefonaten mit den daheimgebliebenen Liebsten eruieren konnten. Für die nächsten elf Tage bin ich ausnahmslos die Hauptperson, oder sollte ich sagen: der Haupthund? Ohne mich keine Fotos, ohne Fotos kein Buch. Eine Rolle, in der ich mich gerne sehe, eine Rolle, die ich schon mein Leben
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