Pedro Juan Gutiérrez
leicht zu fangen. Nicht wie die intelligenten, edlen, tapferen Blue Merlins, denen der alte Santiago hier vor Havanna früher nachstellte.
Die Sonne war jetzt ganz aufgegangen, schien gelb durch den feuchten Frühnebel. Es waren zu viele dicke Wolken zu sehen - Wirbelsturmzeit: schwüle Hitze und heftige Südwinde, ein grauenhaftes Wetter, das mich auslaugt und mir Kopfschmerzen bereitet. Ich packte meine Geräte zusammen und schwamm mit den Flossen zum Malecón. Die Käufer schenkten mir keinen Blick. Wenn ich beladen zurückkomme, umringen sie mich lächelnd und sind alle meine Freunde. Ich ging zu mir nach Hause, stieg hinauf aufs Dach und ließ die Luft aus meinem Schlauch. lsabel war schon auf.
»Was ist, Pedro Juan, keine Lust mehr zu fischen?«
»Seit fast zwanzig Tagen habe ich nichts gefangen. Wir müssen warten, bis die Nordwinde wehen, denn die von Süden her...«
»Und wovon leben wir bis dahin?«
»Geh heute Abend ein bisschen anschaffen auf dem Malecón.«
»Ach ja, wie einfach für dich! Darf ich dich daran erinnern, dass ich schon zwei polizeiliche Verwarnungen habe. Wenn sie mich noch einmal dabei erwischen, darf ich sitzen.« Ich antwortete nicht. Ich hatte keine Lust auf einen albernen Streit. lsabel ist eine Kämpferin und arbeitet hart, aber manchmal ermüdet sie einen mit ihrem endlosen dummen Geschwätz. Ich goss mir etwas Leitungswasser über den Kopf. Seit Tagen hatten wir keine Seife mehr. Wenn das so weiterging, würden wir die Krätze kriegen. Ich aß ein Stückchen Brot, trank Wasser mit Zucker, legte mich hin und schlief wie ein Stein.
Als ich aufwachte, war es zwei Uhr nachmittags. Ich machte die Augen auf und betrachtete eine Zeit lang die Decke. In meinem Kopf drehte sich alles. Was sollte ich jetzt machen? Der Typ nebenan stellte weiter Blecheimer her, brauchte aber keine Hilfe. Ich hatte keinen Centavo mehr. Wenn lsabel ein bisschen anschaffen ging, konnten wir uns bis Dezember über Wasser halten. Wenn sie mit einem Yankee abhaute, umso besser. Dann konnte sie mich aus der Ferne unterstützen. Und wenn sie mich vergaß, war's auch egal. Im Grunde genommen erwarte ich von niemandem was. Ich würde wohl zu meinem verdammten Müllwagen zurückkehren müssen. Offenbar war ich der geborene Nachtarbeiter. Am liebsten hätte ich einen Job als Lkw-Beifahrer, das wäre mein Glück! Und mit der Zeit würde ich dann den Führerschein machen und selbst fahren. Der Job würde mir gefallen. Immer unterwegs, immer in Bewegung. Na, immerhin würde ich am Nachmittag Polio besuchen. Er hatte bestimmt Gras. Ich würde ein paar Joints für ihn verkaufen und so ein paar Pesos einnehmen, um mich bis Gott weiß wann über Wasser zu halten.
lsabel war nicht da. Nicht einmal Kaffee gab es. Ich ging hinaus aufs Dach, um abzuschalten. Der Himmel war immer noch verhangen und bleigrau. Er erinnerte mich an meine Kindheit auf dem Land. Wir hatten in San Francisco de Paula zwei Kühe, Hühner und Ziegen. Das gefällt mir besser, als in diesem ekeligen Dreck zu leben. Sollte ich je alt werden, gehe ich zurück aufs Land. Ich suche mir eine Alte und weg. Und wenn ich keine Alte finde, auch gut, dann eben allein. Oben in den Bergen ist mehr als genug Land, aber wir leben lieber hier einer auf dem anderen. Wenn mich Gott gesund bleiben lässt und ich genug von diesem Kampf ums nackte Überleben habe, kehre ich zurück aufs Land.
Da saß ich und schaute aufs Karibische Meer. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, wie ich ein paar Pesos auftreiben konnte. Der nebenan neu eingezogene Kerl kam auf mich zu. Auch er war vom Land. Wir alle stammten aus der Provinz, wo die Dinge noch schlechter standen, schlimmer als in Havanna, weil es dort gar keine Pesos zu holen gab. Hier kann ich mir immerhin noch was überlegen, und wenn es nur der Verkauf eines Joints ist.
Der Typ wollte sich mit mir unterhalten. Er sprach mit einem netten Singsang, stammte wohl aus dem Osten. »He, Sportsfreund, dich habe ich ja noch nie gesehen. Wohnst du auch hier oben?«
»Seit Urzeiten, Mann.«
»Aha, na jedenfalls bin ich der Neue. Ich heiße Baldomero.« Er gab mir die Hand. Sie war rau, voller Schwielen, die Hand eines Arbeiters. Er war dünn, schmutzig, mit Backenbart und schlechten Zähnen. Er lachte, wollte sympathisch sein. Ich gab ihm die Hand.
»Pedro Juan.«
»So, dann sind wir also Nachbarn. Ich lebe mit Vivian zusammen.«
»Mit Vivian? Seit wann?«
Ȁh, hmmm... schon seit Monaten, aber hier... hier in Havanna bin
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