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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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ein Gestank!... Wie soll man dabei schlafen?«
    »Seit zwei Tagen gibt's kein Wasser.«
    »Zum Teufel damit. Ich falle gleich um. Weck mich ja nicht aus Lust und Laune, Schätzchen, sei so gut.« Ich zog los, um mir eine Pizza und was zu trinken zu besorgen. Immerhin war uns was ins Netz gegangen. Wie heißt es so schön: Gott mutet einem nur so viel zu, wie man ertragen kann.

 
     
Die Kannibalen
     
    Der Tag brach an mit einem orangeroten Schimmer hinter schweren schmutziggrauen Wolken. An der Einfahrt zur Bucht war das Wasser ruhig, aber sehr kalt. Und ich war halb erfroren.
    Die ganze Nacht lang hatte ich geangelt, hatte mich vierhundert Meter vor der Küste in einem aufgeblasenen Reifenschlauch sitzend treiben lassen. Um mich herum trieben ungefähr zwanzig weitere Angler, genau wie ich. Aber September, Oktober sind keine guten Monate. Seit sechzehn Tagen hatte ich nichts gefangen. Ich kam mir vor wie der alte Fischer aus Cojímar, der vierundachtzig Tage lang allein in seinem Boot im Golfstrom dümpelte, ohne einen einzigen Fisch zu fangen.
    Nur war der alte Mann ein Held im klassischen Sinn, zerstört bis ins Mark, aber immer senkrecht. Ich dagegen habe nichts Heldenhaftes an mir, weder ich noch irgendein anderer. Heutzutage ist niemand mehr so stur wie er oder besitzt ein solches Pflicht- und Verantwortungsgefühl für seinen Beruf. Der Zeitgeist ist kommerziell, es geht nur ums Geld, umso besser, wenn es Dollars sind. Der Stoff, aus dem Helden gemacht sind, wird jeden Tag knapper. Darum reden sich die Politiker den Mund fusselig und mahnen Loyalität und Solidarität an. Sie müssen das tun oder den Beruf wechseln. Aber wir, die wir Hunger leiden, müssen weiter hungern, und nichts ändert sich. Politiker und Geistliche glauben, sie könnten alles durch reine Willenskraft verändern, aber so laufen die Dinge nicht. Wir Menschen sind nach wie vor Bestien: verräterisch und egoistisch. Wir halten uns gern etwas abseits der Meute und sehen aus der Entfernung zu. Versuchen den zuschnappenden Zähnen der anderen zu entgehen. Und dann kommt jemand daher und faselt was von Loyalität gegenüber der Meute. Die weiseste Moral, die ich je gehört habe, predigte ein alter, anarchistischer Einzelgänger, der ganz in unserer Nähe wohnte, als ich noch ein kleiner Junge war, in San Francisco de Paula. Der alte Mann war Nachtwächter bei einem korpulenten Amerikaner mit Backenbart, der einen schwarzen Cadillac fuhr und in einer schönen Villa wohnte. Ich ging manchmal dorthin, um die Ansicht über Havanna zu genießen, denn von dem Hügel aus, auf dem die Villa stand, konnte man die ganze Stadt überblicken. Ich schlich mich heimlich hin, denn der Amerikaner war jähzornig und mochte keine unbefugten Eindringlinge. Ich setzte mich zu Pedro Pablo, der tagsüber als Gärtner aushalf, und er sagte zu mir:
    «Das Leben sollte sich nach zwei Klauseln richten. Die erste besagt: Jeder Mensch hat das Recht, zu tun, was er will. Die zweite: Niemand ist verpflichtet, erstgenannter Klausel zu gehorchen.«
    Ich muss immer wieder an das Prinzip des alten Pedro Pablo denken. Aber ich hatte nicht oft Gelegenheit, danach zu leben. Meistens musste ich eher den Kopf einziehen. Seinerzeit hatten die Leute jedenfalls noch eine Arbeit, von der sie leben konnten. Und ich habe auch den Eindruck, dass jeder wusste, wo sein Platz war, ohne sich groß durch Ehrgeiz das Leben zu komplizieren.
    Heute sind alle gebrochen. Niemand weiß, wohin er gehört und was er tun soll, ja nicht einmal, was er genau will oder wonach er sich ausrichten und wo er sich niederlassen soll. Verzweifelt irren wir umher auf der Suche nach Geld, tun alles mögliche, um ein bisschen davon zu bekommen, und taumeln weiter zum nächsten Job und von da zum übernächsten. Was wir letzten Endes erreicht haben, ist ein großer Aufruhr von Leuten, die sich um alles Mögliche kloppen.
    Ach, ich dachte mal wieder zu viel nach. Außerdem waren mein Arsch und meine Eier nass, und meine müden Knochen taten mir weh. Es war nicht gut, auf diesem winzigen Floß so allein die Nacht zu verbringen. Was kümmerte es mich überhaupt, ob die Leute unvernünftig waren oder nicht. Ich sollte lieber große Fische fangen, und wenn es keine gab, die Luft aus dem Reifenschlauch lassen, zusammen mit den anderen die Geräte sorgfältig verwahren, mir einen neuen Job suchen und bis Dezember warten. Wenn die Nordwinde einsetzten, gab es auch wieder Fische. Schnapper und Barsche vor allem, zahm und

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