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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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den Sinn kam, angefangen beim erstbesten Schwarzen, der gerade zum Eingang hereinkam. Miriams kleiner Sohn litt unter Asthmaanfällen. Sie sagte, er sei allergisch gegen die Scheiße aus der Klärgrube, und brachte ihn zu einer Santera, aber ich habe nie gefragt, was die Santera gesagt und ihr als Mittel gegeben hatte. So verbrachte der Junge seine Tage weiter barfuß und halbnackt, watete durch die Scheiße aus der Klärgrube und litt nachts unter seinen Asthmaanfällen. Als heftige Regenstürme einsetzten, zitterten alle, denn das Gebäude war so alt und die Wände waren aus Ziegelstein, Sand und Kalk gebaut, ohne Zement. Die sintflutartigen Regenfälle in der Karibik erreichen biblische Dimension. Tagelang können die Böen anhalten. Die Mauern wurden immer rissiger. Stücke fielen zu Boden. Während jener Regentage befürchtete ich, das gesamte Gebäude könnte einstürzen und uns begraben. Das fürchteten alle, und keiner konnte schlafen. Die alten Frauen beteten leise. Ich lebte bei Miriam, weil ich nichts anderes hatte. Es gab für mich keine bessere oder schlechtere Unterkunft. Wir verstanden uns gut im Bett. Sie verkaufte alles Mögliche, um ein wenig Geld einzunehmen, von dem wir ein Weilchen weiterleben konnten. Die Frau ging mir immer mehr unter die Haut. Sie hatte etwas Animalisches an sich, lebte nur noch für mich und ihren Sohn. Sie hatte noch die alten Vorstellungen vom Mann, der ausgeht, und von der Frau, die das Haus versorgt. Es erregte sie, wenn ich schwitzend, schmutzig und unrasiert ankam. Die Vorstellung von einem wilden Mann an ihrer Seite, der rund um die Uhr eine Erektion hatte, machte sie an. Der bloße Gedanke, meine Frau zu sein, die ich vor der Gier anderer Männer schützte, geilte sie auf. Sie kleidete sich provokativ, unterstrich ihre Weiblichkeit durch freien Bauchnabel und Betonung ihrer Brüste. Es gefiel ihr, wenn ihr die Männer obszöne Bemerkungen nachriefen, die sie mir später im Bett ins Ohr flüsterte und die auch mich erregten. Sie forderte mich dann auf, sie zu schlagen. Es gefiel ihr, wenn man sie schlug, und nach ein paar schallenden Ohrfeigen kam sie dann.
    Irgendwie trieb sie immer Geld und Lebensmittel auf. Ich brauchte nur zu sagen, »was gäbe ich jetzt für ein Glas Rum«. Darauf erwiderte sie nichts, stand nur auf und ging. Kurz darauf kam sie mit einer Flasche und einem Päckchen Zigaretten zurück. Ich behandelte sie zwar nicht schlecht, aber sie hielt das für Liebe und erzählte mir, niemand habe sie im Leben je so liebevoll behandelt. Niemand. Ich sei der Erste, der sie streichele und nett zu ihr sei und ihr zärtliche Worte schenke. Ich wollte mich nicht neu verlieben, hatte genug Liebe gehabt. Liebe geht immer mit Fügsamkeit und Auslieferung einher. Ich konnte mich nicht mehr fügen und an nichts und niemanden ausliefern.
    Schließlich fand ich einen Job bei einem Radiosender, aber man ließ mich nicht moderieren, was ich am liebsten getan hätte. Ich musste nur ein paar kurze Artikel schreiben, die dann ins Programm eingebaut wurden. Lauter albernes Zeug: dass man mit dem Rauchen aufhören und nicht betrunken Auto fahren solle und wie man Unfälle mit Kindern im Haushalt vermied. Lauter politisch korrekte Botschaften, die zur Selbstlosigkeit aufriefen, und es kotzte mich an, sie zu verfassen. Natürlich hörte sowieso niemand zu, und alle rauchten und soffen weiter und rasten aufgeregt ins Krankenhaus, wenn ihr Kind einen Unfall gehabt hatte. Aber die Direktorin des Senders - sie war Mulattin und Tochter von Ochun, sprach deutsch und gab sich gern elegant und höflich - erklärte mir, dass meine Beiträge sehr treffend und vernünftig seien. Immer fand sie dieselben Worte dafür. Und das war mir unerträglich. Seitdem gehen mir diese beiden Wörter furchtbar auf die Nerven: treffend und vernünftig. Sie sind falsch und pedantisch und verlogen. Nichts trifft zu und alles ist unvernünftig. Die ganze Geschichte, das ganze Leben, alle Zeiten sind von jeher daneben und unvernünftig gewesen. Wir selbst, jeder von uns ist von Natur aus daneben und unvernünftig, aber wir zwingen uns, immer wieder auf den rechten Weg zurück wie die Schafe, und legen uns dazu Zügel und Knebel an.
    Dieses Doppelleben führte ich ziemlich lange: treffend und vernünftig im Radiosender. Daneben und unvernünftig in Miriams Wohnung. Zwar fühlte ich mich noch nicht frei, war aber auf dem besten Wege. Fest steht jedenfalls, dass mich nichts Lineares, Geradliniges interessiert,

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