Pedro Juan Gutiérrez
es Stellungen gibt, die nur was für Hindus sein können.
Er vögelte sie nicht nur pausenlos, sondern stellte für sie auch noch das vollständige Repertoire zusammen, brachte ihr bei, italienisch, deutsch, französisch zu singen, lebte nur für sie. Kinder hatten sie nicht. Gerade hatte er die noch verbliebenen Bande zu seiner Halbschwester - Tochter seines Vaters aus erster Ehe - gekappt und war danach noch mehr vereinsamt. Jetzt konzentrierte er sich voll und ganz auf Lina und setzte alles auf die eine Karte. Die Ehe dauerte neun Jahre. Sie schenkte ihm Sex und kleines Lächeln, und er machte sie dafür zur Künstlerin.
Zuletzt war sie kaum noch da, war ständig unterwegs auf Tournee in immer anderen Städten und Ländern. Und Aurelio wurde von Tag zu Tag einsamer. Sie wurde immer sprühender, fröhlicher, unbeschwerter, er brütete finster und deprimiert über seinem Misserfolg. Ich glaube, es gefiel ihm, in Einsamkeit und Misserfolg zu schwelgen, denn er krümmte keinen Finger, um ihnen allen den Arsch zu zeigen und wieder ans Licht zu kommen. Jetzt lag er da im Bett mit einem Sauerstoffschlauch in der Nase und Blutserumkanülen in den Venen; übernervös, zu schwach, um die Infektion, die seinen Körper verheerte, abzuwehren, resistent gegen alle Antibiotika. Ich war eine Weile fort gewesen, also hatten wir uns einige Zeit nicht gesehen, vielleicht zwei, drei Jahre.
Er blinzelte ein wenig, und als er mich sah, versuchte er zu lächeln. Ganz leise begann er zu sprechen. Ich ging näher, um ihn zu verstehen. Das Krankenzimmer war fast dunkel und sehr still. Von Zeit zu Zeit kam eine Krankenschwester herein, machte ein wenig Licht und verteilte Tabletten und Medikamente an die Patienten. Danach war wieder alles ruhig.
»Ich glaube, ich muss jetzt sterben, Pedro.« »Nein, sag das nicht, denn es ist nicht wahr. Schlaf jetzt. Bist du nicht müde?«
»Nein. Alles, was ich will, ist, ganz neu anfangen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich muss sterben, aber im tiefsten Innern kann ich es doch nicht glauben. Ich will einen Neuanfang. Wenn Lina aus Spanien wiederkommt, können wir es noch einmal gemeinsam versuchen.«
»Lina ist in Spanien?«
»Ja. Meine Schwester hat es mir gestern erzählt. Sie ist auf Italien- und Spanientournee. Ich war bewusstlos, und sie ging auf Tournee. Sie musste es tun, Pedro. Ich kann sie verstehen. Wenn sie ihren Platz aufgibt, wird sie abserviert. Du weißt nicht, wie sehr ich sie liebe. Sie ist das Einzige für mich auf der Welt.«
»Wie kannst du so etwas sagen, nachdem sie einfach nach Europa abgehauen ist und dich hat sterben lassen? Sei kein Idiot!«
»Es ist nur... es war so hart für sie.« »Was war hart für sie?«
Aurelio schluckte ein paar Mal und fing dann an zu weinen. Die Tränen liefen ihm übers Gesicht. Ich ließ ihn ein bisschen weinen; er schluchzte und die Sauerstoffschläuche in seiner Nase wurden von Schnodder verstopft.
»Jetzt reiß dich zusammen. Hör auf zu flennen. Diese Schläuche hier verstopfen immer mehr, und du gehst dann übern Jordan. Schluss jetzt, verdammt.« »Pedro Juan, ich bin eine Scheißtunte.«
»Was soll das denn jetzt wieder heißen?«
»Das Problem ist, dass ich mich in einen Jungen verliebt habe, in einen Tenor, der mit Lina im Duett singt. Ich konnte mich nicht beherrschen, er ist ein Adonis. Er gefiel mir zu sehr, und wir waren dreimal zusammen. Alles haben wir gemacht. Er ist zwanzigmal tuntiger als ich! Dann ist er zu ihr gegangen und hat ihr alles erzählt.«
»Was? Er hat ihr alles erzählt?«
»Ja. Frag mich nicht, warum. Er hat es ihr einfach erzählt. Wir probten gerade alle drei zusammen, standen um das Klavier herum, da fing er auf einmal hysterisch an zu kreischen. Er erzählte ihr, ich hätte ihn gepackt und geküsst und seinen Schwanz betatscht. Er spielte den Missbrauchten und machte mich zum Schänder. Das ist einfach lächerlich, denn er trainiert mit Hanteln und ist ein einziges Muskelpaket wie Charles Atlas.«
»Also wirklich. Und du hast ihm daraufhin nicht den Schädel eingeschlagen?«
»Nein. Ich wurde so aufgeregt, dass ich fast geflennt hätte. Außerdem hat mir Lina überhaupt keine Zeit gelassen. Sie machte mir eine Szene, die in der ganzen Nachbarschaft zu hören war. Sie schrie mich an, das habe sie sich immer schon gedacht und ich widere sie an. Das wiederholte sie mehrmals. Ich widere sie an. Dann verließ sie schimpfend das Haus, um sich einen Anwalt zu suchen und scheiden zu lassen. Um frei nach
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