Pedro Juan Gutiérrez
Europa fahren zu können. Als ich dann so allein in dem Riesenhaus zurückblieb, wurde ich ganz traurig und schämte mich, dass jetzt alle wussten...« »Was interessiert dich, was die Leute denken, Aurelio? Es ist dein Leben.«
»Nein, nein!«
»Und dann hast du dich vergiftet?«
»Nein. All das geschah gegen Mittag. Als es dunkel wurde, war sie noch immer nicht zurück. Und ich war außerstande, das Haus zu verlassen. Ich hatte kaum die Kraft, aufzustehen. Dann suchte ich alle Tabletten zusammen, die es im Haus gab, und nahm sie ein, injizierte mir mit einer Spritze Luft in die Venen und schlug mir mit einem Gürtel auf den Rücken. Am liebsten hätte ich mich mit einer Peitsche gegeißelt, in Fetzen geschlagen, gevierteilt. Ich will gar nicht mehr daran zurückdenken. Ich drehte völlig durch.«
»Komm schon, ganz ruhig jetzt.«
»Ich brauche Lina, sie muss unbedingt zu mir zurückkommen. Ich weiß, wir können noch einmal neu anfangen. Ich bin verrückt nach ihr, Pedro Juan. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich in diesen bescheuerten Typ vergaffen konnte, in diesen Petzer.«
All das erzählte er mir unter tiefem Geschluchze, er konnte kaum sprechen. Dann wurde er auf einmal ruhig, viel zu ruhig, hatte die Augen geschlossen. Ich rief die Schwester. Er hatte wieder das Bewusstsein verloren. Sie fühlte seinen Puls und lief davon, um eine Krankenbahre zu holen. Sie brachten ihn zurück auf die Intensivstation. An der Tür hielt man mich zurück.
»Warten Sie hier, Sie dürfen da nicht rein.« Ich hörte, wie man drinnen hin und her lief und jemand verzweifelt rief:
»Herzstillstand! Herzstillstand! Schnell, Herzmassage...« Da konnte ich nicht mehr. Ich flennte los wie ein Kind. Eine Frau kam zu mir, legte mir eine Hand auf die Schulter und sagte:
»Sie müssen jetzt stark sein, mein Sohn. Glauben Sie an Gott?«
Ich fuhr herum und starrte sie wütend an. Ich glaube, sie hielt einen Rosenkranz und die Bibel in der Hand. »Einen Scheiß werde ich! Scheren Sie sich zum Teufel und lassen Sie mich in Ruhe!«
Liebe Gewohnheiten aufgeben
Wir unterhielten uns ein paar Stunden lang auf dem Malecón und gefielen uns immer mehr. Wir rissen Witze und lachten gemeinsam. Gegen ein Uhr nachts war uns, als würden wir uns seit ewigen Zeiten kennen. Dann waren wir eine Weile still. Ich sah sie unverwandt an und bekam einen schönen Steifen. Ich legte den Arm um sie, und wir küssten uns. Ich legte ihre Hand an mich. Sie drückte ein bisschen zu, und ich sagte: »Und was nun?«
»Gehen wir zu mir«, erwiderte sie und nahm ihren kleinen Sohn hoch, der eingeschlafen war, und wir brachen auf. Miriam wohnte in einer verwahrlosten, dunklen und stickigen Höhle ganz in der Nähe, am Trocadero 264. Am Eingang des Gebäudes standen Leute. Das Zimmer war drei mal vier Meter groß. Nach hinten hin gab es eine winzige Küche mit Kerosinherd, und ich musste mich bücken, denn man hatte auf halber Raumhöhe aus Holz eine Mezzanin gebaut, zu der eine kleine Treppe hochführte. Oben drauf war das Bett. Sie legte den Jungen in eine Ecke, und wir nutzten den Rest des Bettes für eine entfesselte kleine Orgie über mehrere Stunden. Es gefiel ihr, dass ich so zärtlich zu ihr war. Ziemlich zärtlich, zumindest; und sie sagte immer wieder, so sei sie noch nie von einem Mann gevögelt worden. »Die meisten Männer warten nicht einmal, bis ich komme. Sie kommen selbst, und das war's dann.« Wir waren gerade mittendrin, als plötzlich Mörtel und Steine von der Decke prasselten. »Himmel, das Haus stürzt ein!«
»Keine Angst, das ist völlig normal.«
Ich hatte aber sehr wohl Angst und ging. Ich kehrte auf den Malecón zurück, kaufte einem Typ eine Flasche Schnaps ab und trank einen Schluck. Da kam der Kerl wieder zurück. »Hör zu, wenn du Marihuana willst, kann ich dir schnell was holen.«
»Mann, ich weiß, du musst dir deine Kröten auf der Straße schwer verdienen, aber das Zeug hier ist das reinste Gift. Wenn dein Marihuana auch so ist...«
»Nein, nein, feinstes Gras, das garantiere ich. Komm schon, ich hol dir was, du probierst davon, und wenn es dir nicht gefällt, brauchst du nichts zu zahlen.«
»Na gut.«
Um vier Uhr morgens war ich high von Fusel und Pot. Aber der schwarze Dealer ließ mich nicht in Ruhe. Er wartete darauf, dass ich völlig breit war, um mir dann alles abzunehmen, was nicht niet- und nagelfest war. Er quatschte endlos auf mich ein, bis ich ihn zum Teufel jagte und zurück zum Trocadero 264 ging.
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