Pedro Juan Gutiérrez
genossen, den Stock in der Hand, das Richten über andere Mitbürger und deren Demütigungen mit Schlägen und Knast. Einige von ihnen begreifen dann mit zerlöcherter Leber, was für elende, brutale Wichte sie eigentlich sind mit ihrem albernen Knüppel in der Hand. Aber da steckt in ihnen dann schon so viel Angst, dass sie nicht mehr loslassen können.
Ich fuhr in eine andere Stadt. Zu der Zeit hatten die Leute in der Provinz mehr Geld. Es gab nichts zu kaufen, also sparten sie. Ihnen war überhaupt nicht klar, dass ihre blöden Drecksscheine ständig an Wert verloren. Ich durchstreifte die Stadt ein paar Mal, um mich zu orientieren. Es gab hier weniger Polizei als in Havanna. Wie eh und je. In den Hauptstädten werden die Schrauben immer fester angezogen. In Großstädten sind die Leute sehr nervös. Abends suchte ich Freunde auf, die einzigen, die ich hier hatte: Hayda und Jórge Luis. Vor fast zwanzig Jahren hatte ich mit Hayda ein langes, zeitweilig unterbrochenes Verhältnis gehabt. Jetzt waren wir gute Freunde. Mit Jórge Luis war sie seit vier Jahren verheiratet.
Ich hatte Hayda mehrere Monate lang nicht gesehen. Als wir das letzte Mal miteinander gesprochen hatte, kriselte es zwischen ihr und ihrem Mann. Sie konnten keine Kinder bekommen. Er rieb sich auf vor Liebe und Besitzanspruch (zwei Konzepte, die in den Tropen viel zu oft verwechselt werden und die Grundlage für alle Boleros und Morde aus Leidenschaft bilden). Und er war rasend eifersüchtig. »Er lässt mir keine Freiheit«, erzählte sie mir. Er hatte sie dabei erwischt, wie sie sich im Park mit einem Kerl unterhielt, der ihr einen Arm um die Schultern gelegt hatte und sie fest an sich drückte. Jórge Luis ging nach Hause, holte ein Messer, bedrohte sie auf offener Straße und schrie wie ein Besessener. Als sie nach Hause kamen, griff sie sich auch ein Messer, baute sich vor ihm auf und schrie ihn ebenfalls an. So bekam sie ihn unter Kontrolle. Alles endete im Bett, weil es den Kerl anmachte, als Hayda ihm das Messer abnahm und ihm eine klebte, damit er wieder zu sich kam. Von da an war sie Herrin der Lage und tat, was ihr gefiel, ohne jede Einmischung seinerseits. Jórge Luis widmete sich dem Suff und Tabak, so oft er konnte, und wollte sie dreimal täglich vögeln. Aber sie ließ ihn nicht. Sie wollte Spaß haben, traute sich aber nicht, Jórge Luis zu verlassen. Sie wollte nach Havanna und ein bisschen anschaffen gehen, sich in Hotelhallen setzen, bis ein Tourist ein Auge auf sie warf und in Dollar bezahlte.
»Pedro Juan, es gibt für mich keinen anderen Weg, um an Spaß, Drinks und neue Kleider zu kommen. Mein Mann ist ein Nichtsnutz, und jeden Tag wird es schlimmer mit seinem beschissenen Job. Nie ist Essen im Haus. Nicht ein Krümel, Pedro Juan. Siehst du nicht, wie mager ich geworden bin?« Sie war hocherfreut, als sie mich jetzt sah. Er weniger. Sie waren völlig abgebrannt, schlimmer noch als ich. Sie wohnten in einer winzigen Baracke aus morschen Brettern in einem Armenviertel am Stadtrand. Sie waren ein schönes schwarzes Paar, groß, beide etwa fünfunddreißig. Nachts kam immer der Spanner des Viertels in ihren Hof geschlichen, um sich an ihrem Seufzen und Stöhnen zu ergötzen. Sie besaßen fast nichts: ein paar Kleider, einen Tisch, ein paar Stühle, ein Bett, einen Kerosinherd und ein Fahrrad. Im Hof hielten sie ein drei Monate altes Ferkel und einen winzigen, mageren schwarzen Hund mit Riesenohren und dem Gesichtsausdruck eines grinsenden Blöden. Mehr nicht. Die Gegend hier war sehr schön. Vor dem Hofzaun erstreckten sich riesige grüne Felder. In der Ferne leuchtete jetzt bei Anbruch des Abends der Himmel rot. Ich gab Jórge Luis Geld, damit er bei einem Nachbarn, der schwarz guten Schnaps aus Zucker brannte, eine Flasche Aguardiente kaufte. Sobald er draußen war, konnten wir der Versuchung nicht länger widerstehen. Hayda und ich umarmten uns, küssten uns, rochen uns. Ich streichelte sie, da sie fast nackt war und nur eine kurze, enge Hose und ein winziges Bikinioberteil trug. Es war sehr heiß, und wir schwitzten. Wir setzten uns wieder in den Hof, um abzukühlen, und Jórge Luis kam mit dem Aguardiente. Von dem Wechselgeld hatte er einige Bananen gekauft. Hayda briet sie. Dann tranken wir alle drei einen Schluck und tanzten ein wenig. Die Flasche war leer, und ich gab Jórge Luis noch einmal Geld. Er brachte eine zweite Flasche Aguardiente und Zigaretten. Fast hätte er uns beim Küssen überrascht und mich mit dem
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